rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Reichweite eines Vorläufigkeitsvermerks
Leitsatz (redaktionell)
Bezieht sich der Vermerk, der Einkommensteuerbescheid ergehe vorläufig hinsichtlich der Besteuerung von Leibrenten, gemäß § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO lediglich auf verfassungsrechtliche Bedenken im Hinblick auf die Rentenbesteuerung, so sind davon nicht alle Leibrenten betreffende Rechtsfragen erfasst. Der Vorläufigkeitsvermerk ermöglicht dann keine Änderung des Bescheids wegen einer geänderten höchstrichterlichen Rechtsprechung zu der Frage, ob und in welchem Umfang die Einkünfte aus schweizerischen Pensionskassen überhaupt als Leistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung anzusehen sind.
Normenkette
EStG § 22 Nr. 1 S. 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa; AO § 165 Abs. 1 S. 2 Nr. 3, Abs. 2
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist, ob der Beklagte verpflichtet ist, den Einkommensteuerbescheid für 2010 (Streitjahr) zugunsten der Kläger nach § 165 Abs. 2 Abgabenordnung (AO) zu ändern.
Der Kläger war im Streitjahr als Chemikant bei der Firma X… (X) in A/Schweiz nichtselbständig tätig. Entsprechend den gesetzlichen Regelungen in der Schweiz leisteten der Kläger sowie seine Arbeitgeberin für die Altersversorgung des Klägers neben den Beiträgen zur Alters- und Hinterlassenenversicherung auch Beiträge zur schweizerischen Pensionskasse der X. Am 15. Dezember 2010 zahlte die schweizerische Pensionskasse der X dem Kläger unter Abzug der einzubehaltenden Quellensteuer in Höhe von 600 CHF einen Betrag in Höhe von 20.000 CHF (= 14.400 EUR) als sogenannten „Vorbezug” aus.
Mit Bescheid vom 1. September 2011 setzte der Beklagte die Einkommensteuer für das Streitjahr auf 18.076 EUR fest und rechnete im Rahmen der Veranlagung die erklärte Kapitalauszahlung den Einkünften im Sinne des § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa Einkommensteuergesetz (EStG) unter Berücksichtigung eines Besteuerungsanteils von 60 % (= 8.640 EUR) zu. Der Bescheid erging gemäß § 165 Abs. 1 Satz 2 AO vorläufig.
Gegen diesen Bescheid ließen die Kläger fristgerecht Einspruch einlegen und beantragten u.a., den steuerpflichtigen Anteil der Rentenzahlung unter Berücksichtigung der Öffnungsklausel mit 7.697 EUR anzusetzen.
Der Beklagte änderte gemäß § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO den steuerpflichtigen Anteil der Rentenzahlung auf 7.697 EUR und setzte mit Einkommensteuerbescheid vom 21. November 2011 die Einkommensteuer auf 17.380 EUR fest. Der Kopf des Bescheids enthielt den Hinweis: „Er ist nach § 165 Abs. 1 Satz 2 AO teilweise vorläufig.” In den Erläuterungen zur Festsetzung führte der Beklagte Folgendes aus:
„Die Festsetzung der Einkommensteuer ist gem. § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO vorläufig hinsichtlich
…
– der Besteuerung der Einkünfte aus Leibrenten im Sinne des § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchstabe a Doppelbuchstabe aa EStG
…
Die Vorläufigkeitserklärung erfasst sowohl die Frage, ob die angeführten gesetzlichen Vorschriften mit höherrangigem Recht vereinbar sind, als auch den Fall, dass das Bundesverfassungsgericht oder der Bundesfinanzhof die streitige verfassungsrechtliche Frage durch verfassungskonforme Auslegung der angeführten gesetzlichen Vorschriften entscheidet (BHF-Urteil vom 30. September 2010 – III R 39/08 –, BStBl 2011 II S.11). Die Vorläufigkeitserklärung erfolgt lediglich aus verfahrenstechnischen Gründen. Sie ist nicht dahin zu verstehen, dass die im Vorläufigkeitsvermerk angeführten gesetzlichen Vorschriften als verfassungswidrig oder als gegen Unionsrecht verstoßend angesehen werden. Soweit die Vorläufigkeitserklärung die Frage der Verfassungsmäßigkeit einer Norm betrifft, ist die außerdem nicht dahingehend zu verstehen, dass die Finanzverwaltung es für möglich hält, das Bundesverfassungsgericht oder der Bundesfinanzhof könne die im Vorläufigkeitsvermerk angeführte Rechtsnorm gegen ihren Wortlaut auslegen.
Sollte aufgrund einer diesbezüglichen Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union, des Bundesverfassungsgerichts oder Bundesfinanzhofs diese Steuerfestsetzung aufzuheben oder zu ändern sein, wird die Aufhebung oder Änderung von Amts wegen vorgenommen; ein Einspruch ist daher insoweit nicht erforderlich.
Der Vorläufigkeitsvermerk hinsichtlich der Nichtabziehbarkeit von Beiträgen zu Rentenversicherungen als vorweggenommene Werbungskosten stützt sich auch auf § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 AO und umfasst deshalb auch die Frage einer eventuellen einfachgesetzlich begründeten steuerlichen Berücksichtigung.”
Hinsichtlich des Umfangs und des Grunds der Vorläufigkeitsvermerke im Einzelnen wird auf die Erläuterungen in dem Bescheid verwiesen (Bl. 105 f. der ESt-Akte).
Mit Schreiben vom 13. Oktober 2016 beantragten die Kläger, den Steuerbescheid vom 21. November 2011 dahingehend zu ändern, dass der auf das Überobligatorium entfallende Anteil der Kapitalauszahlung in Höhe von 18.743 CHF steuerfrei belassen werde. Zur Begründung verwiesen sie darauf, dass d...