rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Irrtümliche Behandlung einer Rente aus der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt als Leibrente. Keine Änderung nach § 129 oder § 165 AO
Leitsatz (redaktionell)
1. Eine offenbare Unrichtigkeit liegt nicht vor, wenn das Finanzamt eine Unfallrente der Höhe nach korrekt erfasst, hierbei aber verkannt hat, dass diese nicht als Leibrente gem. § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa EStG mit dem Besteuerungsanteil zu versteuern, sondern nach § 3 Abs. 1 Buchst. a EStG steuerfrei ist.
2. Eine Vorläufigkeitserklärung, die nur diejenige Unsicherheit auffangen sollte, die sich speziell aus der unklaren verfassungsrechtlichen Situation der Rentenbesteuerung ergab, eröffnet keine Änderungsmöglichkeit wegen der vorrangig zu beurteilenden (tatsächlichen) Frage, ob es sich bei der streitgegenständlichen Rente aus der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt überhaupt um eine Leibrente im Sinne von § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa EStG handelt.
Normenkette
AO §§ 129, 165 Abs. 1 S. 2 Nr. 3, Abs. 2 S. 1; EStG § 22 Nr. 1 S. 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa, § 3 Nr. 1 Buchst. a
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist, ob das Finanzamt (FA) verpflichtet ist, die Einkommensteuerbescheide 2009 bis 2011 zugunsten der Klägerin nach § 129 AO zu berichtigen oder nach § 165 Abs. 2 AO zu ändern.
Die Klägerin war in den Streitjahren als Inneneinrichterin selbständig tätig. Ferner erzielte sie Renteneinnahmen sowie Einnahmen aus Kapitalvermögen. In den Einkommensteuererklärungen 2009 – 2011 gab sie Renteneinnahmen aus der gesetzlichen Rentenversicherung in Höhe von 1.468 EUR (2009 und 2010)und 1.493 EUR (2011) sowie aus einer Schweizer Unfallversicherung in Höhe von 22.366 EUR (2009), 24.400 EUR (2010) und 27.449 EUR (2011) an; die erklärten Einnahmen aus Kapitalvermögen lagen jeweils unter dem Sparerfreibetrag. Die Einkommensteuererklärungen wurden in den Streitjahren jeweils in der Weise erstellt, dass die Klägerin mit ihren teilweise ausgefüllten Erklärungsvordrucken bei der Zentralen Informations- und Annahmestelle (ZIA) des FA vorstellig wurde. Dort wurden die Steuererklärungen dann mit dem ZIA-Mitarbeiter durchgesprochen und – wo erforderlich – ergänzt. Entsprechend weisen die Erklärungsvordrucke Eintragungen mehrerer Personen – zu erkennen an den unterschiedlichen Handschriften und Schriftfarben der Verfasser – auf; Belege wurden kopiert und die Originale der Klägerin wieder mitgegeben (vgl. Bl. 1 – 49 ESt-Akte). Für die Jahre 2009 und 2011 finden sich Schreiben der SUVA betreffend die sog. Teuerungsanpassung der streitgegenständlichen Rente in den Veranlagungsakten (Bl. 16, 35 ESt-Akte).
Im Rahmen der Veranlagung erfasste das FA die erklärten Renten gem. § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa EStG unter Berücksichtigung der Rentenanpassungsbeträge mit einem Besteuerungsanteil von jeweils 50% und setzte mit Bescheiden vom 15. Oktober 2010 (für 2009), 27. Dezember 2011 (für 2010) sowie 14. Dezember 2012 (für 2011) die Einkommensteuer für das Jahr 2009 auf 1.951 EUR, für 2010 auf 1.518 EUR und für 2011 auf 3.045 EUR fest.
Die Bescheide ergingen gem. § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO – im Jahr 2009 daneben auch nach § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 AO – vorläufig u.a. hinsichtlich der Besteuerung der Einkünfte aus Leibrenten im Sinne des § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa EStG. Die Erläuterungen zu den Festsetzungen enthielten jeweils folgenden Hinweis:
„ … Die Vorläufigkeitserklärung erfasst sowohl die Frage, ob die angeführten gesetzlichen Vorschriften mit höherrangigem Recht vereinbar sind, als auch den Fall, dass das Bundesverfassungsgericht oder der Bundesfinanzhof die streitige verfassungsrechtliche Frage durch Anwendung bzw. Auslegung des einfachen Rechts entscheidet. Die Vorläufigkeitserklärung erfolgt lediglich aus verfahrenstechnischen Gründen. Sie ist nicht dahin zu verstehen, dass die im Vorläufigkeitsvermerk angeführten gesetzlichen Vorschriften als verfassungswidrig oder als gegen Europäisches Gemeinschaftsrecht verstoßend angesehen werden. …”
Hinsichtlich des Umfangs und des Grunds der Vorläufigkeitsvermerke im Einzelnen wird auf die Erläuterungen in den Bescheiden verwiesen (Bl. 2 – 12 Rbh-Akte).
Mit Schriftsatz vom 17. Oktober 2013 erstattete der Prozessbevollmächtigte der Klägerin für diese Selbstanzeige nach § 371 AO für die Jahre 2002 – 2012, da Erträge aus einer Kapitalanlage bei der Schweizer Bank bislang nicht der Besteuerung unterworfen worden seien (vgl. Bl. 1. ff. Sonderband „Selbstanzeige CH”). Mit weiterem Schriftsatz vom 17. Juli 2014 machte er geltend, dass tatbestandlich keine Steuerhinterziehung vorliege, da die nacherklärten Kapitaleinnahmen zu keinen Mehrsteuern führten. Bei der Bearbeitung der Nacherklärung sei nämlich aufgefallen, dass die bereits erklärte Schweizer Rente aus der Unfallversicherung bislang fälschlicherweise mit einem Besteu...