Entscheidungsstichwort (Thema)
Fehlerhafte Ermittlung des Ertragsanteils einer Leibrente als offenbare Unrichtigkeit
Leitsatz (redaktionell)
Wird aufgrund eines offenkundigen Schreibfehlers des Steuerpflichtigen der Ertragsanteil seiner Leibrente vom Finanzamt falsch berechnet, beruht die fehlerhafte Rentenbesteuerung auf einer offenbaren Unrichtigkeit, die nach § 129 AO zu korrigieren ist, selbst wenn das Versehen dem zuständigen Beamten in mehreren Veranlagungszeiträumen unterlaufen ist.
Normenkette
AO § 129; FGO § 46; EStG § 22 Nr. 1
Tenor
1. Der Ablehnungsbescheid vom 15. Februar 2006 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 2. Mai 2007, mit dem der Antrag der Kläger auf Änderung der Einkommensteuerfestsetzungen 2000 und 2001 abgelehnt wird, sowie der Ablehnungsbescheid vom 27. September 2005 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 10. Februar 2006, mit dem der Antrag der Kläger auf Änderung der Einkommensteuerfestsetzungen 2002 und 2003 abgelehnt wird, werden aufgehoben und der Beklagte wird verpflichtet,
- den geänderten Einkommensteuerbescheid 2000 vom 18. Juli 2002 dahingehend abzuändern, dass die Leibrenten in Höhe von 46.225 DM anstatt mit einem Ertragsanteil von 31 % mit einem Ertragsanteil von 21 % berücksichtigt werden,
- den Einkommensteuerbescheid 2001 vom 6. August 2002 dahingehend abzuändern, dass die Leibrenten in Höhe von 46.943 DM anstatt mit einem Ertragsanteil von 31 % mit einem Ertragsanteil von 21 % berücksichtigt werden,
- den Einkommensteuerbescheid 2002 vom 13. November 2003 dahingehend abzuändern, dass die Leibrenten in Höhe von 21.715 EUR anstatt mit einem Ertragsanteil von 31 % mit einem Ertragsanteil von 21 % berücksichtigt werden,
- den Einkommensteuerbescheid 2003 vom 8. Oktober 2004 dahingehend abzuändern, dass die Leibrenten in Höhe von 24.554 EUR anstatt mit einem Ertragsanteil von 31 % mit einem Ertragsanteil von 21 % berücksichtigt werden.
2. Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.
3. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Ermöglicht der Kostenfestsetzungsbeschluss eine Vollstreckung im Wert von mehr als 1.500 EUR, haben die Kläger in Höhe des vollstreckbaren Kostenerstattungsanspruchs Sicherheit zu leisten. Liegt der vollstreckbare Kostenerstattungsanspruch im Wert bis zu 1.500 EUR, ist das Urteil hinsichtlich der Kosten ohne Sicherheitsleistung vollstreckbar. In diesem Fall kann der Beklagte die Vollstreckung durch einfache Erklärung abwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung in Höhe des vollstreckbaren Kostenerstattungsanspruchs Sicherheit leisten.
Tatbestand
Streitig ist, ob die bestandskräftigen Einkommensteuerfestsetzungen für 2000 bis 2003 offenbar unrichtig sind und aufgrund des § 129 Abgabenordnung (AO) geändert werden können.
Die Kläger sind Eheleute und wurden in den Streitjahren zusammen zur Einkommensteuer veranlagt.
Der Kläger ist am 7. Dezember 1940 geboren und bezog bis 1994 aus einer Tätigkeit als technischer Angestellter beim … in X.. Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Anfang der neunziger Jahre erlitt er einen Bandscheibenvorfall, der in 1994 zur Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeit führte. Auf seinen Antrag hin zahlte die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) zunächst eine Berufsunfähigkeitsrente für die Zeit ab 3. Februar 1994, die später mit Wirkung ab 1. Juni 1994 in eine Erwerbsunfähigkeitsrente umgewandelt wurde. Die Rente wurde längstens bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres gezahlt. Im Anschluss daran hatte der Kläger einen Anspruch auf Regelaltersrente. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Rentenbescheide vom 9. Mai 1995 (Anlage K 1 zur Klageschrift vom 10. März 2006) und vom 13. Juni 1995 (Anlage K 2) verwiesen. Zudem erhielt der Kläger ab 1. Juni 1994 von der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (VBL) eine Versorgungsrente, die ebenfalls in ihrer Laufzeit bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres des Klägers beschränkt war.
Sämtliche Rentenbescheide reichten die Kläger zusammen mit der Einkommensteuererklärung 1995 am 27. September 1996 beim beklagten Finanzamt – FA – ein. Diese Erklärung füllte – wie auch die Jahre zuvor – die Klägerin aus und gab versehentlich das Geburtsdatum ihres Ehemannes in Zeile 4 des Mantelbogens mit „07.12.48” an. Die Steuererklärung enthielt zwei Anlagen KSO (eine für die Sozialversicherungsrente und eine für die VBL-Rente), auf die im Einzelnen verwiesen wird. Die Kläger trugen auf der Anlage KSO für die Erwerbsunfähigkeitsrente einen Ertragsanteil von 10 % und in Zeile 39 das Datum „07.12.2000” ein. Der Sachbearbeiter des FA errechnete im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung 1995 – ausgehend vom falsch eingetragenen Geburtsdatum des Klägers – eine Laufzeit der abgekürzten Leibrenten von 20 Jahren und las den Ertragsanteil aus der Tabelle des § 55 Einkommensteuer-Durchführungsverordnung (EStDV) in Höhe von 31 % ab. Er trug auf beiden Anlagen KSO in Zeile 41 die Zahl 31 ein und legte diesen Ertragsanteil im Bescheid vom 23. Januar 1997 der Besteuerung zugrunde.