Entscheidungsstichwort (Thema)
Kein Erlass der Einkommensteuer auf Unterhaltsleistungen bei aufgrund verspäteter Geltendmachung fehlender Durchsetzbarkeit des zivilrechtlichen Ersatzanspruchs gegenüber dem Leistenden. Insolvenz des Unterhaltspflichtigen. Erlassbedürftigkeit
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Zustimmung des Unterhaltsempfängers zum Sonderausgabenabzug bei dem Unterhaltspflichtigen ist eine einseitige, empfangsbedürftige, öffentlich-rechtliche Willenserklärung, deren Wirkung im Bereich des Abgabenrechts liegt, deren Voraussetzungen aber zivilrechtlicher Natur sind.
2. Dem Empfänger obliegt es nicht nur, selbst seinen Ausgleichsanspruch gegen den Geber vor den Zivilgerichten durchzusetzen, sondern er trägt nach den eindeutigen gesetzlichen Regelungen und Wertungen auch das endgültige Risiko der Durchsetzbarkeit des Anspruchs.
3. Das Zustimmungserfordernis in § 10 Abs. 1 Nr. 1 EStG räumt dem Empfänger (nur) die Möglichkeit ein, die Zustimmung von einem zivilrechtlichen Ausgleich abhängig zu machen. Macht der Empfänger davon keinen (zeitnahen) Gebrauch, geht das zu seinen Lasten.
4. Es ist nicht unbillig, Unterhaltsleistungen beim Empfänger zu besteuern, wenn dieser seinen zivilrechtlichen Ausgleichsanspruch gegenüber dem Unterhaltsleistenden verspätet geltend macht und infolge der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über dessen Vermögen nicht mehr durchsetzen kann.
5. Erlassbedürftigkeit liegt nicht vor, wenn der Steuerpflichtige unabhängig von einer Billigkeitsmaßnahme in wirtschaftlichen Verhältnissen lebt, die (wegen des Pfändungsschutzes) eine Durchsetzung der in Frage stehenden Steueransprüche ausschließen, ein Erlass hieran nichts ändern könnte und aus diesem Grunde nicht mit einem wirtschaftlichen Vorteil für den Steuerpflichtigen verbunden wäre.
Normenkette
AO §§ 5, 227; EStG § 10 Abs. 1 Nr. 1, § 22 Nr. 1a
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
Die Klägerin (Klin) wendet sich mit ihrer Klage gegen die Versagung des Erlasses der Einkommensteuer (ESt) und des Solidaritätszuschlags zur ESt für die Streitjahre 2011 und 2012. Soweit die Klin darüber hinaus den Erlass von Zinsen und Säumniszuschlägen begehrt, wurde das Verfahren abgetrennt.
Die Klin stimmte am 5. September 2011 in der Anlage U für das Jahr 2010 dem Antrag ihres geschiedenen Ehemannes (im Folgenden nur noch Ehemann) auf Abzug von Unterhaltsleistungen als Sonderausgaben in Höhe von (i.H.v.) 10.800 EUR „dem Grunde” nach schriftlich durch Unterzeichnung zu. Durch ihre Unterschrift bestätigte sie außerdem, zur Kenntnis genommen zu haben, dass die Zustimmung erstmals für das angegebene Kalenderjahr, aber auch für alle folgenden Kalenderjahre gilt, dass die Zustimmung nur vor Beginn des Kalenderjahres, für das sie erstmals nicht gelten soll, widerrufen werden kann und dass die Klin die Unterhaltsleistungen als sonstige Einkünfte versteuern müsse, soweit sie vom Geber als Sonderausgaben abgezogen werden könnten. Wegen der Einzelheiten wird auf die Anlage U verwiesen.
Der Ehemann machte in seinen ESt-Erklärungen für die Streitjahre die an die Klin geleisteten Unterhaltsleistungen i.H.v. jeweils 10.800 EUR als Sonderausgaben geltend. Die ESt-Veranlagungen des Ehemannes erfolgten insoweit antragsgemäß durch das Finanzamt (FA) X durch ESt-Bescheide vom 15. März 2013 (Streitjahr 2011) und vom 29. April 2014 (Streitjahr 2012). Die Veranlagungen sind bestandskräftig. Wegen der Einzelheiten wird auf die beigezogenen Akten des FA X und die ESt-Bescheide Bezug genommen.
Der Beklagte (Bekl) setzte gegen die Klin durch ESt-Bescheid vom 27. März 2014 die ESt 2011 i.H.v. 813 EUR und durch Bescheid vom 22. Mai 2014 die ESt 2012 i.H.v. 5.094 EUR zuzüglich Solidaritätszuschlag i.H.v. 222,42 EUR fest. In beiden Streitjahren berücksichtigte der Bekl die Unterhaltsleistungen des Ehemannes an die Klin i.H.v. jeweils 10.800 EUR als sonstige Einkünfte. Den Einspruch vom 10. April 2014 gegen den ESt-Bescheid des Streitjahres 2011, der sich gegen die Berücksichtigung der Unterhaltsleistungen als sonstige Einkünfte richtete, nahm die Klin mit Schreiben ihres Bevollmächtigten (Bev) vom 2. Juni 2014 wieder zurück.
Auf Antrag der Klin stundete der Bekl die Steuerforderungen der Streitjahre zuletzt mit Verfügung vom 17. November 2014 gegen monatliche Raten zu je 50 EUR bis einschließlich April 2015 und stellte die Schlussrate i.H.v. 3.365,82 EUR antragsgemäß zum 1. Juni 2015 fällig. Ihrer monatlichen Zahlungsverpflichtung kam die Klin bis einschließlich März 2015 jeweils pünktlich nach.
In einem vor dem Amtsgericht – Familiengericht – Y am 4. März 2015 geschlossenen Vergleich verpflichtete sich der Ehemann gegenüber der Klin, an den Bekl ESt 2011 i.H.v. 687,20 EUR sowie ESt 2012 i.H.v. 3.171,62 EUR, jeweils zuzüglich Säumniszuschlägen, zu bezahlen. Zwischenzeitlich war jedoch bereits das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Ehemannes eröffnet worden. Die Klin meldete daraufhin ihre im Vergleich titulierten Forderungen gege...