Entscheidungsstichwort (Thema)
Begründung eines gewöhnlichen Aufenthaltes i.S. des § 9 AO 1977 durch vom Ausländeramt ausgewiesene, aber nicht abgeschobene Kinder
Leitsatz (redaktionell)
1. Gewährung des Kindergeldes in voller Höhe: Vom Ausländeramt ausgewiesene Kinder, die bei ihrem unbeschränkt steuerpflichtigen Vater im Inland wohnen, haben einen gewöhnlichen Aufenthalt i.S. des § 9 AO 1977 vom Beginn ihrer Einreise an inne, wenn sie sich zeitlich zusammenhängend für die Dauer von sechs Monaten im Inland aufhalten, weil sie nicht abgeschoben werden.
2. Kinder von Ausländern können einen inländischen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt unabhängig von den ausländerrechtlichen Voraussetzungen begründen.
3. Im Streitfall blieb offen, ob dies auch für Kinder gelten würde, deren Aufenthalt nicht geduldet ist, sich also illegal aufhalten würden.
Normenkette
EStG § 63 Abs. 1 S. 3, Abs. 2; AO 1977 § 9
Tatbestand
Streitig ist, ob die Kinder des Klägers (Kl) einen gewöhnlichen Aufenthalt im Geltungsbereich des Gesetzes gehabt haben.
Der Kl beantragte im Oktober 1990 für den Sohn … (geb. am … 1982) und die Tochter … (geb. am … 1987) Kindergeld und erhielt für die in Jugoslawien lebenden Kinder ab April 1990 Kindergeld nach dem deutsch-jugoslawischen Abkommen über soziale Sicherheit. Im Februar 1995 beantragte er zusätzlich Kindergeld für die Tochter … (geb. am … 1994), das ihm ab August 1994 gewährt wurde. Dem Kl selbst wurde die Aufenthaltsberechtigung für die Bundesrepublik Deutschland am 3. August 1994 erteilt. Die letzte Familienstandsbescheinigung in den Akten stammt vom 22. Januar 1998 und wurde vom Kl am 17. März 1998 vorgelegt.
Am 8. Februar 1999 stellte der Kl einen Antrag auf Kindergeld nach dem Einkommensteuergesetz (EStG) mit der Begründung, die Ehefrau und die Kinder seien seit 9. Dezember 1998 aus dem Kosovo in die Bundesrepublik Deutschland eingereist. Die Pässe der Ehefrau und der Kinder seien noch beim Rathaus. Beigefügt wurde eine Anmeldebestätigung für die Ehefrau und die drei Kinder beim Bürgermeisteramt in … Mit Schreiben vom 25. Februar 1999 forderte der Beklagte (Bekl) den Kl auf, Kopien der Aufenthaltsgenehmigungen in den Reisepässen der Ehefrau und der Kinder vorzulegen. Nachdem der Klägervertreter dem Bekl am 22. April 1999 die Bescheinigung über die Duldung der Ehefrau und der Kinder durch die Stadtverwaltung vom 4. Februar 1999 vorgelegt hatte, aus der sich ergab, daß unverzüglich gültige Nationalpässe zu beschaffen und vorzulegen seien und die Duldung bei Wegfall des Abschiebehindernisses erlöschen werde, gewährte der Bekl mit Bescheid vom 10. Mai 1999 weiterhin Kindergeld nach dem deutsch-jugoslawischen Abkommen über soziale Sicherheit in Höhe von monatlich DM 95. Zur Begründung wurde angegeben, die Kinder hätten weder Wohnsitz noch gewöhnlichen Aufenthalt gemäß § 63 Abs. 1 Satz 3 EStG in Deutschland.
Der Einspruch vom 4. Juni 1999 wurde damit begründet, die Kinder seien aus dem Kosovo gekommen. Das Visum werde noch eingeholt. Im übrigen sei die Aufenthaltsbefugnis beantragt. Außerdem wurden Schulbescheinigungen für die Kinder … und … vom 1. Juli und 9. Juli 1999 vorgelegt
Nachdem der Bekl vom Ausländeramt erfahren hatte, daß die Ehefrau und die Kinder mit Verfügung vom 4. Februar 1999 aus dem Bundesgebiet ausgewiesen worden waren, jedoch die Abschiebung für die Kosovo-Flüchtlinge von der politischen Lage abhängig sei und zum Zeitpunkt der Abschiebung keine Angaben gemacht werden könnten, wies er den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 4. August 1999 zurück. Zur Begründung wurde angegeben, die Kinder hätten weder Wohnsitz noch gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik. Deshalb könne nur Kindergeld nach dem deutsch-jugoslawischen Abkommen über soziale Sicherheit gezahlt werden, so als ob sie sich im Kosovo aufhalten würden.
Mit der Klage vom 6. September 1999 läßt der Kl durch seinen Bevollmächtigten vortragen, die Ehefrau und die Kinder seien zum Zwecke der Familienzusammenführung am 9. Dezember 1998 eingereist. Der Kl habe dafür eine Wohnung gemietet. Allerdings seien sie ohne Visum eingereist. Sobald Pässe und im Ausland beantragte Visa vorlägen, werde die Ausländerbehörde jedoch den Aufenthalt genehmigen. Bisher werde der Aufenthalt geduldet. Diese Duldung stehe dem Kindergeld nicht entgegen, weil sie mehr als 6 Monate andauere und damit ein gewöhnlicher Aufenthalt gegeben sei. Im übrigen würden die Kinder hier zur Schule gehen.
Der Bekl hat mit geändertem Bescheid vom 10. März 2000 das Kindergeld ab Dezember 1999 auf DM 800 und ab Januar 2000 auf DM 840 monatlich festgesetzt.
Der Kl beantragte mit Schriftsatz vom 27. März 2000 den Bescheid vom 10. März 2000 zum Gegenstand des Verfahrens zu machen.
Der Kl beantragt,
unter Änderung der Einspruchsentscheidung vom 4. August 1999 und des Bescheides vom 10. März 2000 das Kindergeld für die Zeit vom 8. Februar 1999 an von bisher DM 95 auf DM 800 monatlich zu erhöhen.
Der Bekl beantragt,
die Klage abzuweisen, hilfsweise die Revision zuzulassen.
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