Taggenaue Betrachtung und § 62 Abs. 1a Satz 1 und 3 EStG

Das FG Münster entschied im Hinblick auf eine Kindergeldberechnung, dass der "Ablauf des in Satz 1 genannten Zeitraums" im Sinne des § 62 Abs. 1a Satz 3 EStG taggenau zu ermitteln ist.

In diesem Fall besteht eine Kindergeldberechtigung für alle vier Monate, die in den dreimonatigen Zeitraum des Art. 6 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 (sog. FreizügigkeitsRL) fallen.

Folgender Fall wurde vor dem FG Münster verhandelt: Die Klägerin und ihre Tochter sind bulgarische Staatsangehörige. Sie reisten am 20.1.2022 in Deutschland ein. Die Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 oder Abs. 3 FreizügG/EU erfüllte die Klägerin unstreitig nicht.

Anspruch auf Kindergeld

Die Familienkasse bewilligte Kindergeld für Januar bis März 2022, lehnte jedoch eine Zahlung für April 2022 ab. Laut einer Weisung des BZSt vom 28.9.2022 bestehe nach einem EuGH-Urteil vom 1.8.2022 (C-411/20) der Anspruch auf Kindergeld nur in den ersten drei Kalendermonaten nach Wohnsitzbegründung im Inland.

Erste drei Monate in Deutschland

Das FG Münster gab der Klage statt. Nach § 62 Abs. 1a Satz 1 EStG haben EU-Bürger, die in Deutschland einen Wohnsitz begründen, in den ersten drei Monaten keinen Anspruch auf Kindergeld. Der Kindergeldanspruch richtet sich danach nach weiteren Voraussetzungen, die im Streitfall nicht erfüllt waren.

Der EuGH entschied, dass die Verweigerung von Familienleistungen in den ersten drei Monaten für nicht wirtschaftlich aktive EU-Bürger gegen die Verordnung (EG) Nr. 883/2004 verstößt, wenn diese Leistungen in den ersten drei Monaten nach Rückkehr eines eigenen Staatsangehörigen gewährt werden. Nach Art. 6 Abs. 1 der FreizügigkeitsRL haben EU-Bürger das Recht, bis zu drei Monate in einem anderen Mitgliedstaat zu bleiben, solange sie im Besitz eines gültigen Ausweises sind und keine Sozialhilfeleistungen unangemessen in Anspruch nehmen.

Zeitraum ist genau zu berechnen

Das FG Münster entschied, dass die Klägerin und ihre Tochter bis zum 20.4.2022 einen rechtmäßigen Aufenthalt in Deutschland hatten, und der Zeitraum "von bis zu drei Monaten" genau zu berechnen sei. Ein Kindergeldanspruch besteht für jeden Monat, in dem die Voraussetzungen an mindestens einem Tag erfüllt sind. Die Revision zum Bundesfinanzhof wurde zugelassen.

FG Münster, Urteil v. 22.5.2024, 8 K 2918/22 Kg, veröffentlicht mit dem Juni-Newsletter des FG Münster

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