rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Auf Verfassungswidrigkeit gestützter Antrag auf Aussetzung der Vollziehung eines zum 1.1.2022 ergangenen Grundsteuerwertbescheides
Leitsatz (redaktionell)
1. Bei verfassungsrechtlichen Zweifeln an der Gültigkeit einer dem angefochtenen Verwaltungsakt zugrunde liegenden Norm setzt die Aussetzung bzw. Aufhebung der Vollziehung des Verwaltungsakts wegen des Geltungsanspruchs jedes formell verfassungsgemäß zustande gekommenen Gesetzes zusätzlich voraus, dass ein besonderes berechtigtes Interesse des Antragstellers an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes besteht, dem der Vorrang gegenüber dem öffentlichen Interesse am Vollzug des Gesetzes zukommt.
2. Es besteht kein Anspruch auf Aussetzung der Vollziehung eines auf den 1.1.2022 festgestellten Grundsteuerwertes, wenn zwar die Verfassungswidrigkeit der Berechnung des Grundsteuerwertes gerügt wird, jedoch nichts zur Frage vorgetragen wird, aus welchen Gründen ein besonderes berechtigtes Interesse des Antragstellers an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes bestehen soll, dem der Vorrang gegenüber dem öffentlichen Interesse am Vollzug des Grundsteuergesetzes zukommen soll (Abgrenzung zu BFH, Beschluss v. 12.4.2023, I B 74/22 (AdV), BFH/NV 2023 S. 1178).
Normenkette
FGO § 69 Abs. 2 S. 2, Abs. 3 S. 1, Abs. 4 S. 1; GrStG § 37 Abs. 1; GG Art. 3 Abs. 1; AO § 182 Abs. 1; BewG §§ 219-221
Tenor
Der Antrag wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens werden der Antragstellerin auferlegt. Die Beschwerde wird zugelassen.
Tatbestand
I. Die Antragstellerin begehrt die Aussetzung der Vollziehung – AdV – eines Grundsteuerwertbescheides mit der Begründung, die diesbezüglichen gesetzlichen Regelungen seien verfassungswidrig.
Die Antragstellerin ist Eigentümerin einer Eigentumswohnung in der B…-straße in C…. Mit Bescheid vom 23.02.2023 stellte der Antragsgegner den Grundbesitzwert auf den 01.01.2022 auf 198.100,00 EUR fest. Mit Schreiben vom 20.03.2023 (beim Antragsgegner eingegangen am 22.03.2023) legte die Antragstellerin Einspruch ein und beantragte beim Antragsgegner mit Schreiben vom 20.04.2023 die AdV. Mit Schreiben vom 02.05.2023 lehnte der Antragsgegner die AdV ab.
Am 05.05.2023 hat die Antragstellerin den hiesigen Antrag nach § 69 Abs. 3 Finanzgerichtsordnung – FGO – gestellt. Zur Begründung trägt sie vor, laut Prof. Dr. Gregor Kirchhof sei das angewendete Modell zur Berechnung des Grundsteuerwertes verfassungswidrig. Bis zum Ergehen eines Grundsatzurteils werde um AdV gebeten.
Nachdem das Gericht die Antragstellerin in der Eingangsbestätigung (Bl. 3 G-A) aufgefordert hatte, den Antrag im Einzelnen zu begründen und die Zugangsvoraussetzungen nach § 69 Abs. 4 FGO darzulegen und nachzuweisen, hat die Antragstellerin mit Schriftsatz vom 26.05.2023 (Bl. 6 G-A) gebeten, den Antrag zunächst zurückzustellen, da sie ihn nur rein vorsorglich gestellt habe. Einen Bescheid des Antragsgegners über die AdV habe sie noch nicht erhalten, der Antragsgegner habe ihr im Schreiben vom 02.05.2023 aber geraten, einen AdV-Antrag beim Gericht zu stellen.
Die Antragstellerin beantragt,
die Vollziehung des Grundsteuerwertbescheides vom 02.05.2023 für die wirtschaftliche Einheit in C…, B…-straße bis zum Ablauf eines Monats nach Bekanntgabe einer Einspruchsentscheidung auszusetzen.
Der Antragsgegner hat keinen Antrag gestellt.
Dem Gericht hat die Einheitswert- und Grundsteuerakte zur St.-Nr. … vorgelegen.
Entscheidungsgründe
II. 1. Der Antrag ist zulässig. Insbesondere hat der Antragsgegner, wie in § 69 Abs. 4 Satz 1 FGO vorausgesetzt, vor der hiesigen Antragstellung (05.05.2023), nämlich mit Schreiben vom 02.05.2023, einen dort gestellten AdV-Antrag abgelehnt. Zwar enthält das Schreiben keinen Tenor, in dem die AdV abgelehnt wird, es wird jedoch begründet, warum aus Sicht des Antragsgegners keine AdV in Betracht kommt, und das Schreiben ist mit einer auf die Ablehnung der AdV bezogenen Rechtsbehelfsbelehrung versehen. Eine bestimmte Form für die Ablehnung der beantragten Aussetzung der Vollziehung durch die Finanzbehörde verlangt das Gesetz nicht (Bundesfinanzhof - BFH -, Beschluss vom 18.09.2002 IV S 3/02, BFH/NV 2003, 187, 1. der Gründe m. w. N.). Ob die Antragstellerin möglicherweise nicht erkannt hat, dass es sich um eine den Anforderungen von § 69 Abs. 4 Satz 1 FGO genügende Ablehnung handelte, ist unerheblich.
2. Der Antrag ist jedoch unbegründet.
a) Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 i. V. m Abs. 2 Satz 2 FGO soll das Gericht der Hauptsache auf Antrag die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsaktes ganz oder teilweise aussetzen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes bestehen. Ernstliche Zweifel sind zu bejahen, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Verwaltungsaktes neben den für seine Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von Rechtsfragen bewirken. Ernstliche Zweifel können auch verfassungsrechtliche Zweifel an der Gültigkeit einer dem ange...