rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Umsatzsteuerfreiheit der Erteilung von Fahrschulunterricht
Leitsatz (redaktionell)
1. Bei summarischer Prüfung ist davon auszugehen, dass die Erteilung von Fahrschulunterricht durch einen Privatlehrer der Steuerbefreiung nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. j der Mehrwertsteuersystemrichtlinie unterfällt.
2. Zu berücksichtigen ist hierbei insbesondere, dass nach § 1 Abs. 2 der Fahrschüler-Ausbildungsordnung zu den Zielen der Fahrausbildung neben den verkehrstechnischen Fähigkeiten auch das Wissen über die Auswirkungen von Fahrfehlern und eine realistische Selbsteinschätzung, Bereitschaft und Fähigkeit zum rücksichtsvollen und partnerschaftlichen Verhalten und das Bewusstsein für die Bedeutung von Emotionen beim Fahren sowie Verantwortung für Leben und Gesundheit, Umwelt und Eigentum gehören – Fähigkeiten also, die über die bloße Beherrschung von Fahrzeug und Verkehrsregeln deutlich hinausgehen. Dies kann ein Gemeinwohlinteresse begründen.
Normenkette
EGRL 112/2006 Art. 132 Abs. 1 Buchst. j; UStG § 4; FGO § 69 Abs. 2 S. 2, Abs. 3 S. 1
Tenor
Die Vollziehung des Bescheides über Umsatzsteuer-Vorauszahlung Juni 2015 vom 03.08.2015 wird bis zum Ablauf eines Monats nach Bekanntgabe einer abschließenden Entscheidung über den Einspruch vom 03.08.2015 ausgesetzt.
Die Kosten des Verfahrens werden dem Antragsgegner auferlegt.
Tatbestand
I.
Der Antragsteller betreibt als Einzelunternehmer eine Fahrschule. Die mit dem Fahrschulunterricht erzielten Umsätze meldete er am 03.08.2015 für den Umsatzsteuer-Voranmeldungszeitraum Juni 2015 als steuerpflichtige Umsätze an und ermittelte eine Zahllast von 1.122,89 EUR, die ausgeglichen wurde. Ebenfalls am 03.08.2015 legte der Antragsteller gegen die Voranmeldung Einspruch ein und beantragte die Aussetzung der Vollziehung. Letztere lehnte der Antragsgegner mit Bescheid vom 06.08.2015 ab, der Einspruch ist noch nicht beschieden.
Der Antragsteller macht unter Berufung auf Art. 132 Abs. 1 Buchst. j der Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie (MwStSystRL) geltend, die Umsätze aus dem Fahrschulunterricht seien umsatzsteuerfrei. Es handele sich um Unterrichtsleistungen im Sinne der Richtlinie, die von einem Privatlehrer erbracht würden. Er – der Antragsteller – erteile den Unterricht ausschließlich in eigener Person ohne angestellte Fahrlehrer und stehe in unmittelbarer Rechtsbeziehung zu den Fahrschülern.
Ziel des Fahrschulunterrichts sei gemäß § 1 Abs. 1 Fahrschüler-Ausbildungsverordnung vom 19.06.2012 die Befähigung zum sicheren, verantwortungsvollen und umweltbewussten Führen eines Kfz. Dazu würden die in § 1 Abs. 2 der Fahrschüler-Ausbildungsordnung genannten Fähigkeiten und Kenntnisse vermittelt. Mithin lägen Unterrichtsleistungen im Sinne der Richtlinie vor. An der Unterrichtung von Fahrschülern bestehe im Hinblick auf die genannten Ziele ein Gemeinwohlinteresse. Davon seien gleichsam der theoretische und der praktische Fahrschulunterricht erfasst. Die Verkehrserziehung solle daher gemäß Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 07.07.1972 in der Fassung vom 10.05.2012 auch an öffentlichen Schulen erfolgen.
Der Unterricht habe angesichts des Gemeinwohlinteresses auch nicht den Charakter bloßer Freizeitgestaltung. Überdies sei dem Unterricht die Berufsvorbereitung zuzuerkennen. Vor allem in dünn besiedelten Gebieten wie Ost-Brandenburg sei die Befähigung zum Führen eines Kraftfahrzeugs oftmals Voraussetzung für das Gelangen zum Arbeitsort, da der öffentliche Personennahverkehr in Brandenburg den Anforderungen des Berufs- und Ausbildungsverkehrs ganz überwiegend nicht genüge.
Die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) zur Umsatzsteuerpflicht einer Fahrschule (Urteil vom 14.03.1974, V R 54/77) sei durch die neuere Rechtsprechung überholt.
Der Antragsteller beantragt,
die Vollziehung der Umsatzsteuer-Voranmeldung für Juni 2015 vom 03.08.2015 ab Fälligkeit bis zum Ablauf eines Monats nach Erlass einer abschließenden Entscheidung über den Einspruch vom 03.08.2015 aufzuheben,
hilfsweise, die Beschwerde zum BFH zuzulassen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzuweisen.
Er macht geltend, der Fahrschulunterricht stelle keinen Schul- oder Hochschulunterricht im Sinne der MwStSystRL dar. Bei Fahrschulen bestehe die überwiegende Ausbildungstätigkeit in der Vermittlung der Fähigkeit zum Gebrauch eines Kfz unter den Bedingungen des Straßenverkehrs, also in der Einübung von Verhaltensweisen, die technische Geschicklichkeit, mechanische Reaktionsfähigkeit u. a.. Der Erwerb des Führerscheins falle (mit Ausnahme bestimmter Führerscheinklassen) in den privaten Lebensbereich eines Fahrschülers und nicht in den Rahmen einer Ausbildung im Zusammenhang mit einer Berufsausübung. Der Fahrschüler habe das Ziel, einen Führerschein zu erwerben, um dann mit einem Fahrzeug am Straßenverkehr teilnehmen zu können. Ein Bezug zur Ausübung einer Berufstätigkeit sei nicht feststellbar, da jeder Fahrschüler aus unterschiedlichen Motiven den Erwerb der Fahrerlaubnis anstrebe.
Eine Fahrschule vermittel...