Entscheidungsstichwort (Thema)
Aussetzung der Vollziehung. Zurechnung von Betriebseinnahmen und Betriebsausgaben bei Beteiligung an einer EWIV. Transparenzprinzip
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Europäische Wirtschaftliche Interessenvereinigung (EWIV) ist eine besondere supranationale Rechtsform, die es Unternehmen ermöglicht, grenzüberschreitend zusammenzuarbeiten, ohne diese Zusammenarbeit dem nationalen Recht eines der beteiligten Länder zu unterwerfen. Sie übt vielfach – wie auch im Streitfall - Tätigkeiten aus, mit denen keine Gewinne erzielt, sondern lediglich Aufwendungen reduziert werden sollen.
2. Es ist nicht ernstlich zweifelhaft, dass die Betriebseinnahmen und Betriebsausgaben in einem solchen Fall den Mitgliedern der EWIV direkt zuzurechnen und bei ihnen zu besteuern sind.
Normenkette
EStG § 4 Abs. 1, 4; FGO § 69 Abs. 3 S. 1, Abs. 2 S. 2
Tenor
Der Antrag wird abgewiesen.
Die Beschwerde zum Bundesfinanzhof wird zugelassen.
Die Kosten des Verfahrens werden der Antragstellerin auferlegt.
Tatbestand
I.
Die Antragstellerin begehrt vorliegend die gerichtliche Aussetzung der Vollziehung von in Auswertung einer bei dieser durchgeführten Außenprüfung ergangenen Bescheide.
Die Beteiligten streiten in der Hauptsache im Wesentlichen über die Frage, ob Erlöse aus Forderungen, welche die Antragstellerin an zwei Europäische Wirtschaftliche Interessenvereinigungen (EWIV) abgetreten hat, ihr, der Antragstellerin, dennoch für steuerrechtliche Zwecke zuzurechnen sind und ob auf der Ebene der EWIV steuerfreie Rücklagen gebildet werden durften, um hierdurch einen dauerhaften Steuerstundungseffekt zu erreichen.
Die Antragstellerin ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH), deren Unternehmensgegenstand die Konzeption und Produktion von Veranstaltungen sowie die Erbringung von Werk- und Dienstleistungen im Zusammenhang mit Veranstaltungen sowie der Handel mit technischem Equipment ist.
Die Antragstellerin war im Streitzeitraum an zwei EWIV beteiligt, nämlich der EWIV B…, C…, und der EWIV D…, E…. Geschäftsführer der EWIV B… sowie aller ihrer Mitglieder war im Streitzeitraum Herr F…. Gesellschafter der Mitglieder der EWIV B… waren ebenfalls Herr F… sowie vereinzelt seine Ehefrau. Fremde Dritte waren, mit Ausnahme von geringen Bruchteilen bei einzelnen Mitgliedern, nicht vertreten.
Gegenstand der EWIV B… war die Kooperation der Mitglieder bei der Verwaltung des Eigentums – Mobilien und Immobilien – und der Betreuung von unternehmerischen Tätigkeiten, insbesondere im Bereich von Bau-, Renovierungs- und Denkmalschutztätigkeit, aber auch in den Bereichen Event- und Veranstaltungsmanagement sowie bei allen damit jeweils zusammenhängenden Beratungsfragen. Der Sachverhalt hinsichtlich der EWIV D… unterscheidet sich nach insofern übereinstimmenden Angaben der Beteiligten nicht vom Sachverhalt der EWIV B….
Die beiden EWIV übernahmen das Inkasso- und Rechnungswesen ihrer Mitglieder und überwachten den Zahlungsverkehr. Die Mitglieder konnten bei den EWIV ohne Bonitätsprüfung und Sicherheiten Darlehen aufnehmen. Die Antragstellerin trat im Wege der Globalzession die ihr gegen eigene Schuldner zustehenden Forderungen jeweils an die EWIV ab. Die beiden EWIV zogen die ihnen jeweils abgetretenen Forderungen auf eigene Rechnung ein. Die EWIV zahlten an die Antragstellerin sog. Betriebskostenerstattungen, welche die Antragstellerin ertragswirksam verbuchte. Die Betriebskostenerstattungen ließen sich weder hinsichtlich der Bezeichnung noch der Höhe bestimmten Aufwendungen der Antragstellerin zuordnen.
Wegen der Einzelheiten der Vereinbarungen wird insbes. auf den Gründungsvertrag der EWIV B… und den Kooperationsvertrag zwischen der Antragstellerin und der EWIV B… Bezug genommen sowie ergänzend auf den Gewinnverteilungsbeschluss der EWIV B… für das Geschäftsjahr 2017 vom 14. Dezember 2019 (s. Anl. 1-3 zum Schriftsatz des Antragsgegners vom 19. Januar 2022). Mit dem genannten Gewinnverteilungsbeschluss wurde der Kooperationsvertrag aufgehoben.
Der Antragsgegner führte bei der Antragstellerin ab 6. August 2020 eine Außenprüfung (BP) für die Jahre 2016 bis 2018 durch. Wegen der Einzelheiten der Feststellungen der BP wird auf den geänderten Bericht vom 28. Juni 2021 Bezug genommen. In diesem Bericht wurde u.a. ausgeführt, dass die von der Antragstellerin jeweils an eine der EWIV abgetretenen Forderungen und die hieraus resultierenden Erträge steuerrechtlich weiterhin der Antragstellerin zuzuordnen seien. Es handele sich insofern nicht um die Übertragung von Einkunftsquellen, sondern um Einkommensverwendung. Ausweislich Tz. 1.5 des BP-Berichts wurde unter Bezugnahme auf den in der Anl. 1 zum Bericht befindlichen „Vermerk zur steuerlichen Behandlung der Europäischen Wirtschafts- und Interessengemeinschaft (EWIV)” (s. insbes. 1.7.4 des Vermerks) hinsichtlich der Frage der Bilanzierung der Abtretungen der Forderungen aus Lieferungen und Leistungen sowie der Betriebskostenerstattungen bei der Antragstellerin die Auffassung vertreten, dass die Abtretung...