Entscheidungsstichwort (Thema)

Auslegung eines von einem fachkundigen Bevollmächtigten verfassten Einspruchsschreibens

 

Leitsatz (redaktionell)

Ein von einem rechtskundigen Bevollmächtigten des Steuerpflichtigen verfasstes Einspruchsschreiben, in dem im Betreff die Steuernummer, der Name sowie die Anschrift des Steuerpflichtigen und die „Bescheide für … über Einkommensteuer und Solidaritätszuschlag vom …” genannt werden und in dem es weiter heißt: „… legen wir gegen die in der Betreffzeile genannten Bescheide EINSPRUCH ein …”, kann nicht dahin ausgelegt werden, dass es auch die mit den Einkommensteuerbescheiden verbundenen Zinsfestsetzungen umfasst, wenn die Zinsfestsetzungen weder in der Betreffzeile noch in der Begründung erwähnt worden sind.

 

Normenkette

AO § 347 Abs. 1, §§ 355, 357 Abs. 3 S. 1; BGB § 133

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 15.12.2021; Aktenzeichen III R 34/20)

 

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens werden dem Kläger auferlegt.

 

Tatbestand

Der Kläger erzielte in den Jahren 2002 bis 2007 und 2009 gewerbliche Einkünfte aus einer Beteiligung und Einkünfte aus selbständiger Arbeit. Die Grundlagenbescheide über die Beteiligungseinkünfte wurden von dem zuständigen Finanzamt B… (FA) jeweils geändert. In der Folge änderte der Beklagte am 17. April 2018 die Einkommensteuerbescheide des Klägers für die Jahre 2002 bis 2007 und 2009 und setzte gleichzeitig jeweils Zinsen zur Einkommensteuer fest.

Mit Schreiben vom 17. Mai 2018 legte der Kläger, vertreten durch seine jetzigen Bevollmächtigten, eine Rechtsanwalts- und Steuerberaterkanzlei, bestehend aus einem Rechtsanwalt und Steuerberater und einem Steuerberater, Einsprüche gegen die geänderten Einkommensteuerfestsetzungen ein. In dem Schreiben sind im Betreff die Steuernummer, der Name sowie die Anschrift des Klägers und die „Bescheide für 2002, 2003, 2004, 2005, 2006, 2007 und 2009 über Einkommensteuer und Solidaritätszuschlag vom 17.04.2018” genannt. Es heißt weiter: „… legen wir gegen die in der Betreffzeile genannten Bescheide EINSPRUCH ein …”. In dem Schreiben wird ausgeführt aus, dass die Bevollmächtigen das Mandat im November 2013 übernommen hätten und sie mit der Erstellung der Steuererklärungen bzw. deren Prüfung für die in der Betreffzeile genannten Veranlagungszeiträume bislang nicht befasst gewesen seien. Das betreffe auch die Mitteilung der Besteuerungsgrundlagen durch die zuständigen Finanzämter, die zu den Änderungen der Bescheide geführt hätten. Zur Klärung werde noch Zeit benötigt.

Mit einem weiteren Schreiben vom 17. Mai 2018, das bei dem Beklagten per Telefax am 13. Juni 2018 (Absendung laut Aufdruck am 13. Juni 2018 um 17.19 h) einging, legte der Kläger Einsprüche gegen die Festsetzungen von Zinsen zur Einkommensteuer für die Jahre 2002 bis 2007 und 2009 ein. In der Betreffzeile heißt es u.a. „… Unsere Einsprüche vom 17.05.2018 gegen die Bescheide für 2002, 2003, 2004, 2005, 2006, 2007 und 2009 über Einkommensteuer und Solidaritätszuschlag vom 17.04.2018”. In dem Schreiben führt der Bevollmächtigte des Klägers aus, dass die Einsprüche weiter verfolgt würden und der Kläger sich gegen die mit diesen Bescheiden festgesetzten Zinsen sowohl der Höhe als auch dem Grunde nach wende.

Der Beklagte wies den Kläger mit Schreiben vom 16. Juli 2018 darauf hin, dass die Einsprüche gegen die Zinsfestsetzungen verspätet eingegangen seien. Telefonisch erklärte der Kläger dazu, dass die Einsprüche gegen die Einkommensteuerbescheide auch Einsprüche gegen die Zinsfestsetzungen darstellten.

Der Beklagte verwarf die Einsprüche gegen die Festsetzungen von Zinsen zur Einkommensteuer für die Jahre 2002 bis 2007 und 2009 mit Einspruchsentscheidungen vom 10. Oktober 2018 (betreffend die Jahre 2003 und 2004) und vom 11. Oktober 2018 (betreffend die Jahre 2002, 2005 bis 2007 und 2009) als unzulässig. Dagegen richtet sich die am 13. November 2018 erhobene Klage.

Der Kläger wendet sich mit seiner Klage gegen die festgesetzten Zinsen sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach. Er macht geltend, dass der Zinssatz des § 238 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO) seit vielen Jahren nicht mehr der Situation auf dem Kapitalmarkt entspreche, sodass eine verfassungsmäßige Typisierung der Zinshöhe nicht mehr garantiert sei. Die Zinshöhe müsse sich generell an realitätsgerechten Werten orientieren. Neben der Verfassungswidrigkeit rügt der Kläger, dass die Zinsen wegen überlanger Verfahrens-/Bearbeitungsdauer aufgrund sachlicher Unbilligkeit überhöht seien. Er verweist auf dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) vorliegende Verfassungsbeschwerden zu der Frage, ob der gesetzliche Zinssatz der Verzinsungszeiträume nach dem 31. Dezember 2009 bzw. 31. Dezember 2011 verfassungsmäßig ist.

Der Kläger meint, dass seine Einsprüche gegen die Bescheide über Einkommensteuer und Solidaritätszuschlag auch als Einsprüche gegen die Zinsfestsetzungen zu werten seien. Das am 13. Juni 2018 per Telefax übermittelte Schreiben sei demgegenüber die nachgereichte Begründung der Einsprüche gewesen. Das erste ...

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