rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Kindergeldanspruch des deutschen, mit seiner polnischen Ehefrau und deren aus erster Ehe stammenden Kindern zusammenlebenden Stiefvaters für die Stiefkinder trotz unterlassener Beantragung einer Familienbeihilfe in Polen durch den in Polen lebenden leiblichen Vater der Kinder
Leitsatz (redaktionell)
1. Der Ausschluss des Kindergeldanspruchs eines in Deutschland mit seiner polnischen Ehefrau und seinen Stiefkindern in einem gemeinsamen Haushalt lebenden Stiefvaters wegen eventueller in Polen gezahlter Familienbeihilfe nach § 65 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EStG wird nicht nicht durch die Verordnungen (EWG) Nr. 1408/71 bzw. Nr. 574/72 verdrängt, wenn weder der Stiefvater noch seine Ehefrau eine sozialversicherungspflichtige selbstständige oder unselbstständige Erwerbstätigkeit i. S. d. EWG -Verordnungen in Deutschland oder in Polen ausüben.
2. Die in Polen auf der Grundlage des Gesetzes über Familienleistungen vom 28.11.2003 (GBl. 2003, Nr. 28, Pos. 2255) mit Wirkung ab 1.5.2004 Eltern oder einem Elternteil gezahlte Familienbeihilfe dient dem Zweck einer teilweisen Deckung der Aufwendungen für den Kinderunterhalt, ist damit dem deutschen Kindergeld vergleichbar und eine Leistung i. S. von § 65 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EStG. Bei der Prüfung, ob nach polnischem Recht die für die Bewilligung der Familienbeihilfe unschädliche Höhe des Familieneinkommens überschritten wird, sind auch steuerfreie Einnahmen wie Renten, Krankengelder, und Unterhaltszahlungen zu berücksichtigen.
3. Sind allein die Renteneinkünfte des Stiefvaters so hoch, dass damit sein Anspruch bzw. der Anspruch seiner Familienmitglieder auf polnische Familienbeihilfe ausgeschlossen ist, so wird der Anspruch des Stiefvaters auf deutsches Kindergeld in ungekürzter, gesetzlicher Höhe nicht allein dadurch ausgeschlossen, dass der der Familie völlig entfremdete, in Polen lebende und dort keiner Erwerbstätigkeit nachgehende leibliche Vater der Kinder es bislang unterlassen hat, zur Klärung der Anspruchssituation in Polen einen Antrag auf Familienleistungen zu stellen. Vielmehr muss dann die Familienkasse prüfen, ob ein solcher Antrag des leiblichen Vaters, wenn er denn gestellt würde, Erfolg haben könnte.
Normenkette
EStG §§ 65, 62 Abs. 1 Nr. 1, § 63 Abs. 1 S. 1 Nr. 2; EWGV 1408/71 Art. 4 Abs. 1 Buchst. h, Art. 13, 73; EWGV 574/72
Tenor
Die Beklagte wird unter teilweiser Aufhebung des Bescheides vom 31. Januar 2008, geändert durch Bescheide vom 21. Februar 2008 und 23. Dezember 2008 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 8. April 2009 verpflichtet, zu Gunsten des Klägers für seine Stiefkinder A und B Kindergeld ab Oktober 2007 in voller gesetzlicher Höhe festzusetzen.
Die Kosten des Verfahrens werden dem Beklagten auferlegt.
Tatbestand
Der Kläger, ein deutscher Staatsangehöriger, schloss am 03.08.2006 die Ehe mit einer polnischen Staatsangehörigen, deren am 03.06.1994 und am 05.10.1995 geborene Kinder A und B aus der früheren, am 10. Dezember 1998 geschiedenen Ehe mit dem polnischen Staatsangehörigen C stammen, der in Polen lebt, aber nach eigenen Angaben und soweit sonst ersichtlich dort seit dem 01.01.2005 und jedenfalls bis November 2009 keiner Erwerbstätigkeit nachgegangen ist. Der Kläger lebte mit seiner späteren Ehefrau bereits seit dem 25.08.2005 in einer gemeinsamen Wohnung in M. Auf seinen Antrag vom 26.09.2006 nahm die Beklagte entsprechend ihrer Mitteilung vom 07.12.2006 ab August 2006 die Zahlung von Kindergeld für die Stiefkinder des Klägers in Höhe von monatlich 77,00 EUR je Kind auf. In dieser Höhe setzte die Beklagte das Kindergeld ab August 2006 durch Bescheid vom 17.08.2007 fest und führte zur Begründung aus, weder der Kläger noch der andere Elternteil seien vom persönlichen Geltungsbereich der EWG – VO Nr. 1408/71 und der EWG – DVO Nr. 574/72 erfasst. Damit lasse sich eine vorrangige Leistungspflicht in Deutschland nicht aus der Konkurrenzregelung des Art. 10 DVO herleiten mit der Folge, dass der Anspruch auf dem inländischen Kindergeld vergleichbare Familienleistungen den Anspruch in Deutschland nach § 65 Abs. 1 Nr. 2 EStG ausschließe. Diese Regelung sei jedoch nicht mit Sinn und Zweck der gemeinschaftsrechtlichen Konkurrenzvorschriften vereinbar, so dass im Rückgriff auf die Konkurrenzvorschriften des Art. 12 Abs. 2 VO i.V.m. Art. 7 Abs. 1 DVO deutsches Kindergeld in hälftiger Höhe zu zahlen sei. Der Bescheid wurde dem Kläger zusammen mit einem Schreiben vom 31.08.2007 bekannt gegeben.
Mit Schreiben vom 12.11.2007 beantragte der Kläger, ihm Kindergeld in voller Höhe nachzuzahlen und fortlaufend zu bewilligen. Zur Begründung fügte er Bescheinigungen der polnischen Sozialbehörde O vom 02. und 07.11.2007 bei, wonach der Kindesvater keine Familienleistungen ausgezahlt erhalte und seine Ehefrau seit dem 01.09.2007 nicht mehr. Mit Bescheid vom 31.01.2008 hob die Beklagte die Festsetzung des Kindergelds gemäß § 70 Abs. 3 EStG ab März 2008 mit der Begründung auf, dass der Kläger in der Schweiz eine Erwerbsunfähigkeitsrente...