Entscheidungsstichwort (Thema)
Kein Erlass von Säumniszuschlägen infolge sachlicher Unbilligkeit bei erfolgloser Beantragung von Aussetzung der Vollziehung nur beim Finanzamt, nicht aber auch beim Finanzgericht
Leitsatz (redaktionell)
Säumniszuschläge sind nach der BFH-Rechtsprechung wegen sachlicher Unbilligkeit zu erlassen, wenn die Steuerfestsetzung später aufgehoben wird und der Steuerpflichtige „alles getan” hat, um die Aussetzung der Vollziehung des Steuerbescheids zu erreichen, sein Antrag auf Aussetzung der Vollziehung aber gleichwohl erfolglos geblieben ist. Aus dem Erfordernis, „alles getan zu haben”, um eine Aussetzung der Vollziehung zu erreichen, folgt, dass nach erfolgloser Beantragung einer Aussetzung der Vollziehung bei der Finanzbehörde im Anschluss auch ein Antrag beim Finanzgericht gestellt worden sein muss (gegen FG Köln, Urteil v. 24.11.2016, 10 K 3370/14, EFG 2017 S. 363; Anschluss an AEAO zu § 240 Nr. 5 Buchst. f).
Normenkette
AO §§ 227, 240 Abs. 1; FGO § 69 Abs. 2-3, §§ 102, 128 Abs. 3; AEAO § 240 Nr. 5 Buchst. f.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Revision zum Bundesfinanzhof wird zugelassen.
Die Kosten des Verfahrens werden den Klägern auferlegt.
Tatbestand
Der Beklagte erließ am 3. Dezember 2018 gegenüber den Klägern einen geänderten Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2012. Diese Steuerfestsetzung resultierte aus Feststellungen von Außenprüfungen bei Unternehmen, an denen die Kläger beteiligt waren. Aus dem geänderten Einkommensteuerbescheid 2012 ergaben sich Abgabenforderungen für Einkommensteuer i. H. v. 1.051.510 EUR und für den Solidaritätszuschlag zur Einkommensteuer 2012 i. H. v. 57.833,05 EUR, die zum 7. Januar 2019 fällig wurden. Die mit ihrem Einspruch vom 4. Januar 2019 gegen diesen geänderten Einkommensteuerbescheid 2012 gleichzeitig beantragte Aussetzung der Vollziehung der fälligen Beträge lehnte der Beklagte mit Verwaltungsakt vom 15. Februar 2019 ab. Der hiergegen gerichtete Einspruch wurde durch Einspruchsentscheidung vom 2. Oktober 2019 zurückgewiesen und gleichzeitig ein Betrag zur Einkommensteuer 2012 i. H. v. 1.679,00 EUR und ein Betrag zum Solidaritätszuschlag i. H. v. 92,34 EUR von der Vollziehung ab Fälligkeit ausgesetzt.
Am 27. Dezember 2019 wurde dem Beklagten die berichtigte Bilanz zum 31. Dezember 2012 der C… Ltd., an der die Ehefrau der Kläger beteiligt war, übermittelt. Daraufhin setzte der Beklagte von Amts wegen mit Verwaltungsakt vom 3. Februar 2020 die Vollziehung der Einkommensteuer 2012 i. H. v. 1.020.972,00 EUR und des Solidaritätszuschlags i. H. v. 56.153,46 EUR unter Vorbehalt des jederzeitigen Widerrufs ab dem 27. Dezember 2019 aus. Der Einkommensteuerbescheid 2012 wurde mit Bescheid vom 3. Februar 2020 geändert und die Einkommensteuer zzgl. Folgesteuern wegen vorliegender Grundlagenbescheide erhöht und die Erhöhungsbeträge zum 6. März 2020 fällig gestellt. Gleichzeitig endete die am 2. Oktober 2019 angeordnete Aussetzung der Vollziehung (Einkommensteuer 1.679,00 EUR zzgl. Solidaritätszuschlag 92,34 EUR). Der Bescheid weist für die am 7. Januar 2019 fälligen Beträge bereits entstandene Säumniszuschläge für Einkommensteuer i. H. v. 132.839,50 EUR und für Solidaritätszuschlag i. H. v. 7.496,00 EUR aus (Summe: 140.335,50 EUR). Mit Verwaltungsakt vom 19. Februar 2020 setzte der Beklagte die zum 6. März 2020 fälligen Beträge unter Einbehalt der bisher bereits geleisteten Zahlungen i. H. v. 105.338,55 EUR als Sicherheitsleistung aus.
Mit Schreiben vom 30. März 2020 beantragten die Kläger einen Erlass der durch das Überschreiten der Fälligkeit der Abgaben für 2012 entstandenen Säumniszuschläge i. H. v. 143.783,67 EUR aus Billigkeitsgründen. Diesen Erlassantrag lehnte der Beklagte mit Verwaltungsakt vom 6. November 2020 ab. Den hiergegen erhobenen Einspruch wies der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 1. September 2021 als unbegründet zurück.
Mit ihrer hiergegen erhobenen Klage vertreten die Kläger die Auffassung, dass die Säumniszuschläge wegen Unbilligkeit ab 7. Januar 2019 zu erlassen seien. Ein Erlass von Säumniszuschlägen sei insbesondere dann geboten, wenn die Steuerfestsetzung später aufgehoben werde und der Steuerpflichtige alles getan habe, um eine Aussetzung der Vollziehung des Steuerbescheides zu erreichen, das Finanzamt oder das Finanzgericht aber die Aussetzung, obwohl möglich und geboten, abgelehnt habe. Dies sei vorliegend der Fall. Die Steuerfestsetzung sei nachträglich aufgehoben worden. Zudem hätten sie, die Kläger, zuvor alles getan, um eine Aussetzung der Vollziehung zu erlangen. Dass sie, die Kläger, neben dem behördlichen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des Einkommensteuerbescheides und des Einspruchs gegen die ablehnende Entscheidung des Beklagten nicht auch noch einen gerichtlichen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung gestellt hätten, sei unschädlich. Mangels gesetzlicher Einschränkung habe der Steuerpflichtige die Wahl, entweder einen Einspruch gegen die ablehnende Aussetzungsentscheidung des Finanzamts einzulegen oder ...