Entscheidungsstichwort (Thema)
Nachträglich geltend gemachte Stückzinsen als neue Tatsache. Dem Finanzamt bei Erlass des bestandskräftigen Einkommensteuerbescheids bereits bekannte, aber nicht berücksichtigte fiktive Quellensteuern auch nicht nachträglich berücksichtigungsfähig
Leitsatz (redaktionell)
1. Auch wenn in den vom Bundesministerium der Finanzen herausgegebenen Anleitungen zur Einkommensteuererklärung 2000 in der „Anleitung zur Anlage KAP 2000” ausgeführt ist, dass beim Erwerb gezahlte „Stückzinsen” als „negative Einkünfte” zu betrachten sind, hat ein Steuerpflichtiger durch die Nichtgeltendmachung von Stückzinsen in der Steuererklärung nicht grob fahrlässig i. S. v. § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO gehandelt, wenn er als steuerliche Laie die Begriffe „Stückzinsen” und „negative Einkünfte” nicht kannte und wenn die Stückzinsen beim Erwerb einer Anleihe in der Kaufabrechnung der Bank zudem nicht als Stückzinsen, sondern lediglich als „Zinsen” für eine bestimmte Zeit bezeichnet sowie in der späteren Steuerbescheinigung der Bank nicht mehr aufgeführt worden sind.
2. Hat das Finanzamt bei Erlass des Einkommensteuerbescheids fiktive Quellensteuern aus Brasilien und der Türkei nicht einkünftemindernd berücksichtigt, obwohl ihm dazu die Original-Bankbescheinigungen vorlagen, kann der bestandskräftige Steuerbescheid mangels einer einschlägigen Berichtigungsvorschrift nicht mehr geändert werden. Da die Quellensteuern dem Finanzamt bei Erlass des Bescheides bereits bekannt waren, scheidet insbesondere eine Änderung nach § 173 AO aus.
Normenkette
EStG 1999 § 20 Abs. 1, § 9 Abs. 1, § 34c Abs. 1-2, 6 S. 2; DBA-Türkei Art. 23 Abs. 1 Buchst. b; DBA-Brasilien Art. 24 Abs. 3; AO § 173 Abs. 1 Nr. 2
Tenor
Der Beklagte wird unter Aufhebung des ablehnenden Bescheids vom 16. Dezember 2004 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 9. Februar 2005 verpflichtet, einen geänderten Einkommensteuerbescheid für 2000 zu erlassen, in dem vom Kläger entrichtete „Stückzinsen” in Höhe von 778,23 DM im Zusammenhang mit dem Erwerb einer Anleihe der A-Bank als „negative Einnahmen” bei seinen Einkünften aus Kapitalvermögen berücksichtigt werden. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu 80 v. H. und der Beklagte zu 20 v. H. zu tragen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Frage, ob der Beklagte einen Antrag des Klägers auf Änderung der Einkommensteuerbescheide für die Jahre 1999 bis 2001 zu Recht abgelehnt hat.
Der Kläger, der seit dem … 2001 dauernd von seiner damaligen Ehefrau getrennt gelebt hat und inzwischen von ihr geschieden ist, wurde für die Streitjahre – ebenso wie seine Ehefrau – vom Beklagten zur Einkommensteuer veranlagt. Beide Eheleute sind von Beruf …. Für die Streitjahre 1999 und 2000 gaben die Eheleute Einkommensteuererklärungen mit dem Antrag auf Zusammenveranlagung ab (Eingang der Einkommensteuererklärungen beim Beklagten am 25. August 2000 bzw. 20. August 2001). Für das Streitjahr 2001 (Eingang der Einkommensteuererklärung: 9. Juli 2002) beantragte der Kläger von vorneherein eine getrennte Veranlagung.
Für das Streitjahr 1999 erklärten die Kläger im Rahmen ihrer Einkommensteuererklärung keinerlei Einkünfte aus Kapitalvermögen. Solche blieben daher auch im Rahmen des (endgültigen) Einkommensteuerbescheids 1999 vom 15. September 2000 außer Ansatz.
Das Bundesamt für Finanzen wertete in der Folgezeit die ihm nach § 45 d des Einkommensteuergesetzes – EStG – übermittelten Angaben über Freistellungsaufträge zur Überprüfung der rechtmäßigen Inanspruchnahme der steuerlichen Freibeträge aus. Dabei wurde festgestellt, dass für das Streitjahr 1999 auf Grund der erteilten Freistellungsaufträge höhere Kapitalerträge als gesetzlich zulässig vom Steuerabzug freigestellt wurden (13.786,00 DM statt 12.200,00 DM). Diesen Sachverhalt teilte der Beklagte den Klägern mit Schreiben vom 22. Juni 2001 mit.
Daraufhin reichten die Kläger beim Beklagten mit Schreiben vom 2. August 2001 mehrere Bescheinigungen der B-Bank bzw. der C-Bank über ihre Kapitaleinkünfte im Streitjahr 1999 ein.
Der Beklagte erließ am 3. September 2001 einen nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 geänderten Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr 1999, in dem er bei den Besteuerungsgrundlagen die folgenden nachträglich erklärten Einkünfte aus Kapitalvermögen berücksichtigte:
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Ehemann |
Ehefrau |
Einnahmen: |
11.886,00 DM |
2.250,00 DM |
./. WK-Pauschbetrag |
169,00 DM |
31,00 DM |
./. Sparerfreibetrag |
9.781,00 DM |
2.219,00 DM |
Einkünfte |
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1.936 DM |
Außerdem wurde im Hinblick auf die Erträgnisaufstellung der B-Bank im sog. Anrechnungsteil des Steuerbescheids Kapitalertragsteuer in Höhe von 44,00 DM steuermindernd angerechnet.
Im Rahmen der von vorneherein der Einkommensteuererklärung 2000 beigefügten Anlage „KAP” differenzierte der Kläger nicht zwischen seinen inländischen und ausländischen Einkünften aus Kapitalvermögen, sondern erklärte diese einheitlich als inländische Einkünfte aus Kapitalvermögen. Allerdings waren der Einkommensteuererklärung die Original-Bankabrechnunge...