Entscheidungsstichwort (Thema)
Bei einem Mehrwersteuerbetrug in einer Lieferkette ist jeder Umsatz für sich zu betrachten. kein Vorsteuerabzug aus einer Rechnung über die Lieferung hochwertiger Prozessoren bei tatsächlicher Lieferung minderwertiger „Dummies”
Leitsatz (redaktionell)
1. Zwar ist der Begriff der Lieferung bei einem mit einem Mehrwertsteuerbetrug behafteten Umsatz nicht erfüllt. Jedoch ist jeder Umsatz in einer Lieferkette für sich zu betrachten; Umsätze, die nicht selbst mit einem Mehrwertsteuerbetrug behaftet sind, sind eine wirtschaftliche Tätigkeit eines Steuerpflichtigen und stellen Lieferungen dar.
2. Ein Umsatz ist auch dann mit einem Mehrwertsteuerbetrug belastet in diesem Sinne (LS. 1), wenn er zwar selbst der Umsatzsteuer unterworfen wurde, der Lieferer dies aber nur als „notwendiges Übel” in Kauf genommen hat, um eine Umsatzsteuerhinterziehung aus gefälschten Eingangsrechnungen zu ermöglichen.
3. Sinn und Zweck der Bestimmtheitsanforderungen an die Leistungsbeschreibung ist, dass für die Finanzbehörden eine Überprüfung ermöglicht werden soll, was Gegenstand von umsatzsteuerlich relevanten Lieferungen ist. Diesem Erfordernis ist nicht genügt, wenn über Lieferungen hochwertiger, für den Einsatz in komplexen medizinischen Geräten geeignete Prozessoren abgerechnet wird, tatsächlich aber nur minderwertige elektronische Bauteile „Dummies”) geliefert worden sind.
Normenkette
UStG 1999 § 2 Abs. 1, § 3 Abs. 1, § 15 Abs. 1 Nr. 1, § 14
Nachgehend
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens werden der Klägerin auferlegt.
Tatbestand
Die Klägerin gehört zur Unternehmensgruppe A und ist dort als sog. Einkaufsgesellschaft tätig, treibt jedoch auch darüber hinaus Handel mit dritten Abnehmern.
Im Streitjahr übte sie ihren wesentlichen Geschäftsbetrieb von einer Filiale in M aus und unterhielt Geschäftsbeziehungen mit der B-GmbH –…–, von der sie laut der ihr erteilten Rechnungen 33mal jeweils 500 „Prozessoren PT4-E2” (vgl. Anlage K 4, Bl. 107 Gerichtsakte – GA –; Anlage 2 zum Steuerlichen Bericht vom 31. August 2004; Urteil des Landgerichts – LG – Berlin vom 10. April 2008 (514) 1 St Js 528/02 KLs (6/06), Bl. 241, 243 GA) zu Nettopreisen von jeweils von 502,08 EUR/Stück = 251.040 EUR zuzüglich 40.166,40 EUR Umsatzsteuer bezog. Die Klägerin lieferte die von der B-GmbH bezogenen Bauteile (jedenfalls papiermäßig) wiederum an eine Firma C in Malaysia – … – gegen einen Gewinnaufschlag in Höhe von 3 v. H. auf die Nettopreise ohne Umsatzsteuerausweis weiter. In einer Email der Firma C vom 5. Oktober 2001 wird der Einsatzbereich des Prozessors als „der medizinische Bereich” bezeichnet (Anlage AS 13 im Verfahren 2 B 5066/05). In diesem Zusammenhang erteilte die Klägerin der B-GmbH am 28. März 2002 eine Bestellung über 500 Prozessoren PT4-E2, wobei sie die Prozessoren als von der Firma AMD/Samsung hergestellt und ausschließlich zu medizinischen Zwecken einsetzbar charakterisierte (Anlage 1 zum Schriftsatz des Beklagten vom 5. März 2008, Bl. 194 GA). Nach einem nicht datierten Schreiben der Firma C an die Klägerin sollte der Prozessor PT4-E2 dual (zwei Stück auf einem Board) in einer selbst operierenden Einheit einer Operationsanlage zum Einsatz kommen, die ausschließlich in Krankenhäusern oder Kliniken zum Einsatz kommen (Anlage 4 zum Schriftsatz des Beklagten vom 5. März 2008, Bl. 197 GA). In den Ausfuhranmeldungen bezeichnete die Klägerin die Ware als Prozessor für medizinische Operationsmaschinen PT4-E2.
Die Ware gelangte nicht in die Geschäftsräume der Klägerin, sondern wurde von der Spedition D bei der B-GmbH abgeholt und an die Firma C versandt. Eine genaue Überprüfung der Ware nahm die Klägerin nicht vor, da nach den Angaben der B-GmbH und den Aufdrucken auf der sog. Umverpackung das Öffnen der Verpackung nur in Reinräumen erfolgen dürfe, da andernfalls die Beschädigung der Prozessoren drohe. Die Firma C nahm die Lieferungen der Klägerin beanstandungsfrei ab. Sämtliche Lieferungen wurden termingerecht im Wege der Vorkasse bezahlt. Dabei wurden die Geldbeträge von den Verantwortlichen der B-GmbH und weiteren Beteiligten im Kreislauf zwischen dem Konto der B-GmbH, dem Konto der Klägerin und zwei weiteren Konten bewegt. Ein Zugriff der Firma C auf diese Gelder bestand nicht (Urteil des LG Berlin vom 10. April 2008 (514) 1 St Js 528/02 KLs (6/06) betreffend den Geldgeber E, Bl. 233 ff. GA).
Die B-GmbH gab gegenüber den Finanzbehörden vor, die an die Klägerin (und eine weitere Abnehmerin) veräußerten Bauteile von der F-AG bezogen zu haben und unterlegte dies durch gefälschte Rechnungen. In ihren Umsatzsteuer-Voranmeldungen machte die B-GmbH die Vorsteuer aus den gefälschten F-AG-Rechnungen geltend und meldete andererseits die der Klägerin in Rechnung gestellte Umsatzsteuer an. Die Klägerin machte die ihr von der B-GmbH in Rechnung gestellte Vorsteuer im Rahmen ihrer Umsatzsteuer-Voranmeldungen und ihrer Umsatzsteuerjahreserklärung 2002 geltend. Der...