Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfassungswidrigkeit des Ausschlusses der Lohnsteuerklassenkombination III/V sowie des Splittingverfahrens für eingetragene Lebenspartner. besonderes berechtigtes Interesse von Lebenspartnerschaften überwiegt
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Verfassungsmäßigkeit der Benachteiligung von eingetragenen Lebenspartnerschaften gegenüber Ehepaaren durch die Versagung der Eintragung der Lohnsteuerklassen III und V sowie des Splittingtarifs ist ernstlich zweifelhaft i. S. d. § 69 Abs. 2 FGO.
2. Das zur Gewährung von Aussetzung der Vollziehung wegen der materiellen Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes nötige besondere berechtigte Interesse des eingetragenen Lebenspartners an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes überwiegt die gegen die Aussetzung sprechenden öffentlichen Belange.
3. Wird der Antrag, die Eintragung einer Lohnsteuerklasse auf der Lohnsteuerkarte zu ändern, abgelehnt, ist einstweiliger Rechtsschutz durch Aussetzung der Vollziehung des Ablehnungsbescheids zu gewähren.
Normenkette
EStG § 38b Abs. 1 S. 2 Nrn. 3, 5, 1b, §§ 26b, 32a Abs. 5; GG Art. 3 Abs. 1; FGO § 69 Abs. 3 S. 1, Abs. 2 S. 2
Tenor
Die Vollziehung des Bescheides vom … wird bis einen Monat nach Abschluss des Einspruchsverfahrens dergestalt ausgesetzt, dass ab dem 1. Januar 2012 vorläufig bei der Antragstellerin zu 1. die Steuerklasse III und bei der Antragstellerin zu 2. die Steuerklasse V berücksichtigt wird.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsgegner.
Die Beschwerde wird zugelassen.
Tatbestand
I.
Die Antragstellerinnen begehren die vorläufige Änderung der Eintragungen der Lohnsteuerklassen auf den Lohnsteuerkarten für das Jahr 2012.
Die Antragstellerinnen begründeten am … die Lebenspartnerschaft (Lebenspartnerschaftsurkunde Nr. … des Standesamts …). Sie leben nicht getrennt und sind unbeschränkt einkommensteuerpflichtig. Sie beziehen Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit.
Am … beantragten die Antragstellerinnen, für das ganze Jahr 2012 auf ihren fortgeltenden Lohnsteuerkarten für die Antragstellerin zu 1. die Lohnsteuerklasse III und für die Antragstellerin zu 2. die Lohnsteuerklasse V einzutragen.
Mit Bescheid vom … lehnte der Antragsgegner den Wechsel in die Steuerklassenkombination III/V ab. Zur Begründung führte er aus, dass § 26 Abs. 1 EStG voraussetze, dass eine Ehe im zivilrechtlichen Sinne bestehe. Eine eingetragene Lebenspartnerschaft stehe der Ehe nicht gleich.
Gegen diesen Bescheid legten die Antragstellerinnen fristgerecht Einspruch ein und beantragten sinngemäß die Aussetzung der Vollziehung.
Mit Bescheid vom … lehnte der Antragsgegner den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ab. Mit Schreiben vom selben Tage teilte er den Antragstellerinnen mit, dass das Einspruchsverfahren gemäß § 363 Abs. 2 AO ruhe, bis das Bundesverfassungsgericht über die anhängigen Verfahren entschieden habe.
Am … haben die Antragstellerinnen die gerichtliche Aussetzung der Vollziehung des Bescheides vom … beantragt.
Zur Begründung führen sie aus, dass vorläufiger Rechtsschutz gegen die Ablehnung der Änderung der Steuerklassen im Wege der Aussetzung der Vollziehung nach § 69 FGO zu gewähren sei und verweisen auf den BFH-Beschluss vom 8. Juni 2011 III B 210/10, BFH/NV 2011, 1692, die Beschlüsse des Finanzgerichts Baden-Württemberg vom 12. September 2011 3 V 2820/11, StE 2011, 743 und 2. Dezember 2011 3 V 3699/11 und den Beschluss des Finanzgerichts Rheinland-Pfalz vom 4. Oktober 2011 2 V 1588/11.
§ 38b EStG sei im Hinblick auf den Familienstand der Lebenspartnerschaft lückenhaft, weil dort der Familienstand „verpartnert” nicht geregelt sei. Diese Lücke müsse durch Anwendung der für Verheiratete geltenden Regeln ausgefüllt werden, weil die Lebenspartnerschaft in einkommensteuerrechtlicher Hinsicht einer Ehe entspreche.
Es bestünden ernstliche Zweifel, ob die angewandten Vorschriften mit dem Grundgesetz vereinbar seien. Diese ergäben sich aus dem BVerfG-Beschluss vom 7. September 2009 1 BvR 1164/07, BVerfGE 124, 199 und dem BVerfG-Beschluss vom 21. Juli 2010 1 BvR 611/07, 1 BvR 2464/07, BVerfGE 126, 400, in denen das BVerfG im Einzelnen dargelegt habe, wann Ehegatten im Vergleich zu Lebenspartnern begünstigt werden dürften. Lebenspartner dürften gegenüber Ehepaaren nur benachteiligt werden, wenn das betreffende Gesetz die Privilegierung der Ehe vom Vorhandensein gemeinsamer Kinder abhängig mache. Dies sei beim Splittingverfahren gerade nicht der Fall. Eine Reihe von Finanzgerichten habe entschieden, dass der Ausschluss der Lebenspartner vom Splittingverfahren gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoße oder zumindest im Sinne von § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO rechtlich ernstlich zweifelhaft sei. Diese Beschlüsse seien auf der Website des Lesben- und Schwulenverbandes in Deutschland (http://lsvd.de/1357.0.html#c7199) zugänglich. Auch der Bundesfinanzhof habe mit Beschlüssen vom 14. Dezember 2007 III B 25/07, BFH/NV 2008, 779, vom 16. Juli 2011 III B 217/10, BFH/NV 2011, 1901 und 15. November 2011 III R 36/10 festgestellt, dass die beim Bundesverfassungsgeric...