Entscheidungsstichwort (Thema)
Fristverlängerung hinsichtlich des Überschreitens von Verwahrungsfristen; Erstattung von Einfuhrabgaben
Leitsatz (redaktionell)
1. Art. 859 ZKDVO enthält eine wirksam zustandegekommene und abschließende Regelung der Verfehlungen i.S. des Art. 204 Abs. 1 Buchst. a ZK, die "sich auf die ordnungsgemäße Abwicklung der vorübergehenden Verwahrung oder des betreffenden Zollverfahrens nicht ausgewirkt haben".
2. Nach Art. 49 Abs. 2 ZK können die Zollbehörden die 20-Tage-Frist zur ordnungsgemäßen Abwicklung der vorübergehenden Verwahrung oder des betreffenden Zollverfahrens verlängern, wenn es die Umstände rechtfertigen, wobei die Verlängerung nicht über die durch die Umstände gerechtfertigten tatsächlichen Erfordernisse hinausgehen darf. Nur wenn bei rechtzeitiger Beantragung eine Fristverlängerung nach Art. 49 Abs. 2 ZK gewährt worden wäre, hätte sich diese Fristüberschreitung auf die ordnungsgemäße Abwicklung der vorübergehenden Verwahrung nach Art. 859 Nr. 1 ZKDVO nicht wirklich ausgewirkt mit der Folge, dass keine Zollschuld nach Art. 204 Abs. 1 ZK entstanden wäre.
3. Das FG ist zwar nicht aufgrund Gemeinschaftsrechts gehindert, auch vom HZA unanfechtbar abgelehnte Fristverlängerungsanträge nach Art. 49 Abs. 2 ZK im Rahmen des Art. 859 Nr. 1 ZKDVO daraufhin zu überprüfen, ob nicht doch eine Fristverlängerung hätte gewahrt werden müssen. Das nationale deutsche Recht verbietet aber das Außerachtlassen einer unanfechtbaren Ablehnung von Fristverlängerungsanträgen durch das HZA, denn ein solcher Ablehnungsbescheid ist ein Grundlagenbescheid.
4. Eine Fristverlängerung nach Art. 49 Abs. 2 ZK hinsichtlich des Überschreitens von Verwahrungsfristen kommt nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände in Betracht.
5. Außergewöhnliche Umstände in diesem Sinn können solche sein, die - auch wenn sie dem Wirtschaftsteilnehmer nicht fremd sind - nicht zu den Ereignissen gehören, denen jeder Wirtschaftsbereich bei der Ausübung seines Gewerbes regelmäßig ausgesetzt ist.
6. Eine Differenzierung hinsichtlich einer zu gewährenden Fristverlängerung nach Art. 859 Nr. 1 ZKDVO hinsichtlich des zeitlichen Umfangs der zu verlängernden Frist in unzulässig.
7. Die Entstehung einer Zollschuld nach Art. 204 Abs. 1 Buchst. a ZK i.V.m. Art. 859 Nr. 1 ZKDVO hängt nicht davon ab, ob die Frist für die vorübergehende Verwahrung nur um einen Tag oder für einen längeren Zeitraum hätte verlängert werden müssen.
8. Bei der Beantwortung der Frage, ob grobe (offensichtliche) Fahrlässigkeit i.S. des Art. 859 ZKDVO vorliegt, sind insbesondere die Komplexität der Vorschriften, deren Nichterfüllung die Zollschuld begründet, sowie die Erfahrung und Sorgfalt des Wirtschaftsteilnehmers zu berücksichtigen. Hinsichtlich der Erfahrung des Wirtschaftsteilnehmers ist zu untersuchen, ob er im wesentlichen im Einfuhr- und Ausfuhrgeschäft tätig ist und ob er bereits über eine gewisse Erfahrung mit der Durchführung dieser Geschäfte verfügt. Was die Sorgfalt des Wirtschaftsteilnehmers betrifft, muss sich dieser, sobald er Zweifel an der richtigen Anwendung der Vorschriften hat, deren Nichterfüllung eine Abgabenschuld begründen kann, nach Kräften informieren, um die jeweiligenVorschriften nicht zu verletzen.
9. Voraussetzung für eine Erstattung von Einfuhrabgaben nach Art. 239 Abs. 1 zweiter Gedankenstrich ZK ist, dass die Umstände, die zum Entstehen der Einfuhrabgaben geführt haben, u.a. nicht auf offensichtliche Fahrlässigkeit des Beteiligten zurückzuführen sind.
Normenkette
ZK Art. 49 Abs. 2, Art. 204 Abs. 1 Buchst. a; ZKDV Art. 859 Nr. 1; AO 1977 § 171 Abs. 10; ZK Art. 239 Abs. 1
Tatbestand
Die Klägerin ist ein als Personengesellschaft – in den Streitjahren als OHG und jetzt als KG – geführtes Textilhandelsunternehmen, das neben anderen Importen – oft präferenzberechtigter Waren – in erheblichem Umfang Einfuhren nach passiver Veredelung tätigt, z.T. auch in das Zollgebiet verbrachte Nichtgemeinschaftswaren reexportiert. In dem hier entscheidungserheblichen Zeitraum wurden die für die Klägerin in das Zollgebiet verbrachten Nichtgemeinschaftswaren regelmäßig im Versandverfahren nach Bremen verbracht, dem HZA X (als Rechtsvorgänger des beklagten HZA) – Abfertigungsstelle Y – ZA –gestellt und anschließend der Klägerin zur vorübergehenden Verwahrung überlassen. Bereits mit Schreiben vom 02. August 1993 hatte sie dem HZA mitgeteilt, daß die Umstellung ihrer Zollausrechnungen auf EDV-Basis, die dann nach Fertigstellung eine raschere Abfertigung ermögliche, zur Zeit noch nicht abgeschlossen sei, so daß die 20-Tage-Frist zur Zollabfertigung nicht in jedem Fall eingehalten werden könne. Daraufhin hatte das HZA dem ZA mitgeteilt, daß die 20-Tage-Frist des Art. 15 Abs. 2 Verbringungs-VO nur im Ausnahmefall auf Antrag verlängert werden könne.
Mit Schreiben vom 7. Januar 1994 teilte das HZA der Klägerin mit, das ZA habe sie in der Vergangenheit regelmäßig auf den Ablauf von Fristen hingewiesen, die für die Stellung des Zollantrages für solche Waren gälten, die ...