Entscheidungsstichwort (Thema)

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei Versäumung der Sechsmonatsfrist des § 66 Abs. 3 EStG

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Der Sechsmonatsfrist des § 66 Abs. 3 EStG für die rückwirkende Gewährung von Kindergeld kommt lediglich verfahrensrechtliche Bedeutung zu. Daraus folgt, dass die Frist erst mit Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen für die Gewährung von Kindergeld nach § 63 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG in Lauf gesetzt wird.

2. Hat der Anspruchsberechtigte den Antrag auf Gewährung von Kindergeld verspätet gestellt, kann Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden.

 

Normenkette

EStG § 66 Abs. 3; AO 1977 § 110; EStG § 63 Abs. 1, § 32 Abs. 4 S. 2

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 14.05.2002; Aktenzeichen VIII R 50/00)

 

Gründe

Die Klägerin hat eine im Februar 1977 geborene Tochter A..., die sich bis Juni 1996 in der Berufsausbildung befand und im Anschluss daran bis zum 15. Februar 1997 arbeitslos war. Im August 1997 beantragte die Klägerin die Zahlung von Kindergeld für ihre Tochter. Der Beklagte setzte daraufhin rückwirkend Kindergeld für den Monat Februar 1997 fest. Eine weitergehende rückwirkende Festsetzung lehnte er unter Hinweis auf ¾ 66 Absatz 3 Einkommensteuergesetz – EStG – ab.

Der Einspruch der Klägerin blieb ohne Erfolg.

Die Klägerin hat am 14. November 1997 Klage erhoben. Sie ist der Auffassung, dass ihr im Hinblick auf das Schreiben des Bundesamtes für Finanzen vom 30. Juni 1997, St I 4 – S 2470 – 15/97 (BStBl. I 1997, 654) Kindergeld auch länger als sechs Monate rückwirkend zu gewähren sei.

Die Klägerin beantragt,

den Beklagten zu verpflichten, rückwirkend für die Zeit von Januar 1996 bis einschließlich Januar 1997 Kindergeld für das Kind A... zu zahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte ist der Ansicht, dass er an das genannte Schreiben nicht gebunden sei. Das Schreiben gelte im übrigen nur für die Fälle des Berechtigtenwechsels (sog. Weiterleitungsfälle); ein solcher liege hier jedoch nicht vor.

Der Senat entscheidet ohne mündliche Verhandlung (¾ 90 Abs. 2 Finanzgerichtsordnung -FGO-).

Die Klage ist zulässig und begründet.

Der Beklagte hat es zu Unrecht abgelehnt, das Kindergeld für die Tochter A... der Klägerin für den Zeitraum Januar 1996 bis Januar 1997 zu bewilligen.

Die materiellen Voraussetzungen für die Gewährung von Kindergeld haben für die Monate Januar 1996 bis Juli 1996 gem. ¾ 63 Abs. 1, Satz 2 i.V.m. ¾ 32 Abs. 4 Satz 2, Nr. 2 lit. a) EStG und für die Monate August 1996 bis Januar 1997 gem. ¾ 63 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. ¾ 32 Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 EStG vorgelegen.

Entgegen der Ansicht des Beklagten steht ¾ 66 Abs. 3 EStG a.F. dem Klagebegehren nicht entgegen. Danach wird das Kindergeld rückwirkend nur für die letzten sechs Monate gezahlt, in dem der Antrag auf Kindergeld eingegangen ist.

Denn der Senat geht in Übereinstimmung mit den Urteilen des Finanzgerichts Münster (Urteil vom 24. September 1998 – 14 K 8654/97 Kg, EFG 1999, 849 (Nrkr., Az BFH: VI R 65/99) und des Finanzgerichts Düsseldorf (Urteil vom 26. März 1998 – 10 K 8887/97 Kg, EFG 1998, 1017; 27. November 1997 – 15 K 3969/97 Kg (Nrkr. 1998, 375, Az BFH: VI R 9/98)) davon aus, dass der Vorschrift des ¾ 66 Abs. 3 EStG lediglich verfahrensrechtliche Bedeutung zukommt. Diese Auslegung hat zunächst zur Folge, dass die Frist erst mit Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen für die Gewährung von Kindergeld nach ¾ 63 Abs. 1, Satz 2 i. V. m. ¾ 32 Abs. 4 Satz 2 EStG in Lauf gesetzt wird. (FG Münster, a.a.O.; FG Düsseldorf vom 27. November 1997, a.a.O.). Danach wäre allerdings der erst im August 1997 gestellte Antrag verfristet. Denn bezogen auf das Jahr 1996 begann die Antragsfrist mit dem Monat Januar 1997 zu laufen. Für den Zeitraum 1997 wurde die Antragsfrist Ende Januar bzw. Februar in Gang gesetzt.

Der Klägerin ist jedoch aufgrund der, nur verfahrensrechtlichen Bedeutung des ¾ 66 Abs. 3 EStG Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gem. ¾ 110 Abgabenordnung -AO- (vgl. FG Münster, a.a.O.; FG Düsseldorf vom 27. November 1997, a.a.O.) zu gewähren. Denn die Klägerin hat den Antrag auf Gewährung von Kindergeld ohne Verschulden verspätet eingelegt. Zwar ist es grundsätzlich schuldhaft, wenn aufgrund eines Irrtums über tatsächliche oder rechtliche Umstände versäumt wird, eine fristwahrende Handlung (Stellung des Antrags auf Gewährung von Kindergeld) rechtzeitig vorzunehmen. (vgl. BFH, Beschluss vom 20. Juni 1985 – IV R 17/83, BFH/NV 1987, 343; vom 09. Mai 1967 – II B 3/67, BStBl. 1967 III, 472; Urteil vom 14. Dezember 1989 – III R 116/85, BFH/NV 1990, 530) Ein Rechtsirrtum und die dadurch bedingte Fristversäumnis können jedoch ausnahmsweise unverschuldet sein, wenn die Rechtslage in hohem Maße unsicher ist und die Frist versäumt wird, weil es der Betroffene aufgrund rechtlich vertretbarer Erwägungen unterlässt, sein Recht fristgerecht geltend zu machen (vgl. BFH, Beschluss vom 20. Juni 1985 – IV R 17/83, BFH/NV 1987, 343; Urteil vom 14. Dezember 1989 – III R 116/85, BFH/NV 1990, 530) bzw. die...

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