Entscheidungsstichwort (Thema)
Buchführungspflichten von Taxiunternehmern. Aufbewahrung der Schichtzettel. Schätzung und Aussetzung der Vollziehung bei Vorliegen besonders schwerwiegender Buchführungsmängel
Leitsatz (redaktionell)
1. Zur Erfüllung der Buchführungspflicht müssen alle Taxiunternehmer ungeachtet der Gewinnermittlungsart die Schichtzettel physisch nach den Vorgaben des § 147 Abs. 1 AO aufbewahren. Hiervon kann nur ausnahmsweise dann abgesehen werden, wenn deren Inhalt täglich – und nicht nur in größeren Zeitabständen – unmittelbar nach Auszählung der Tageskasse in das in Form aneinandergereihter Tageskassenberichte geführte Kassenbuch übertragen wird.
2. Bei Vorliegen besonders gravierender Buchführungsverstöße muss der Steuerpflichtige auch etwaige Ungenauigkeiten einer vergröbernden Schätzung hinnehmen.
3. Bei Vorliegen besonders gravierender Buchführungsmängel kommt eine Aussetzung der Vollziehung nicht in Betracht, soweit sich die gerichtliche Schätzung auf der Grundlage der belastbaren Gegenüberstellung zwischen erklärten Erlösen und den mittels beschlagnahmten Unterlagen ermittelten Erlösen an der absoluten Hinzuschätzungsuntergrenze bewegt.
Normenkette
AO § 147 Abs. 1, §§ 158, 162; FGO § 96 Abs. 1 S. 1, § 69 Abs. 2 S. 2, Abs. 3 S. 1
Tenor
1. Die Bescheide vom 17. Januar 2018 über Einkommensteuer 2008 bis 2013 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 5. März 2021 werden von der Vollziehung insoweit ausgesetzt, als darin Hinzuschätzungen zu den Gewinnen wie folgt zu berücksichtigen sind:
Jahr |
hinzugeschätzter Gewinn |
2008 |
51.190 EUR |
2009 |
24.753 EUR |
2010 |
35.680 EUR |
2011 |
62.918 EUR |
2012 |
55.900 EUR |
2013 |
46.280 EUR |
Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
2. Von den Kosten des Verfahrens haben der Antragsteller 44% und im Übrigen der Antragsgegner zu tragen.
Tatbestand
I.
Streitig sind die infolge einer Betriebsprüfung (Bp) und Steuerfahndungsprüfung vom Antragsgegner (Finanzamt –FA-) vorgenommenen Erlöshinzuschätzungen bei dem vom Antragsteller betriebenen Taxi- und Mietwagenunternehmen.
Nach den Feststellungen der Bp bestanden in den Streitjahren formelle Buchführungsmängel in den Einnahmeursprungsaufzeichnungen des Antragstellers (vgl. Bp-Berichte vom 01. November 2017 für die Streitjahre 2008 bis 2010 und für die Streitjahre 2011 bis 2012). Der Antragsteller habe danach weder Schichtzettel vorgelegt noch nach Auszählung der Tageskasse die Tageseinnahmen täglich in ein Kassenbuch übertragen. Der Antragsteller habe stattdessen seine Barerlöse monatlich in einer EXCEL-Tabelle erfasst, die ihm als Kassenbuch diente. Weitere Abrechnungen oder Fahrtenbücher habe der Antragsteller ebenfalls nicht vorgelegt. Im Rahmen einer Durchsuchung der Wohn- und Geschäftsräume seien für die Kalenderjahre 2012 und 2013 unvollständige Tagesaufzeichnungen der Fahrer des Taxiverkehrs aufgefunden worden. Ein Abgleich dieser aufgezeichneten Barerlöse mit den vom Antragsteller gebuchten Bareinnahmen ergaben Mehrerlöse für das Jahr 2012 i. H. v. rund 78.621 EUR und für das Jahr 2013 i. H. v. rund 85.049 EUR.
Diese Buchführungsmängel veranlassten die Prüferin zu einer Taxikalkulation und entsprechenden Erlöshinzuschätzung.
Auf der Grundlage dieser Prüfungsfeststellungen erließ das FA unter dem 17. Januar 2018 die streitgegenständlichen Bescheide.
Soweit der von der Bußgeld- und Strafsachenstelle nach Abschluss der Steuerfahndungsprüfung erlassene Strafbefehl eine Geldstrafe von insgesamt 17.000 EUR auswies, wurde das Strafverfahren vom Amtsgericht Z gem. § 153a Abs. 2 StPO gegen Zahlung einer Geldauflage von 5.000 EUR im Februar 2021 eingestellt.
Das dagegen angestrengte Einspruchsverfahren hatte teilweise Erfolg. Das FA erstellte zwei neue Taxikalkulationen und reduzierte zuletzt in seiner Einspruchsentscheidung (EE) vom 5. März 2021 die vorherigen Hinzuschätzungsbeträge für alle Streitjahre im Mittel auf nunmehr ca. die Hälfte. Im Verhältnis zu den vom Antragsteller erklärten Gewinnen verbleibt eine streitige Gewinnerhöhung für alle Streitjahre im Mittel i. H. v. 565%, wobei sich diese im Einzelnen wie folgt darstellen:
Gewinn |
erklärt |
Hinzuschätzg Bp |
Hinzuschätzg EE |
2008 |
20.476 EUR |
204.800 EUR |
111.863 EUR |
2009 |
9.901 EUR |
286.300 EUR |
114.463 EUR |
2010 |
14.272 EUR |
330.400 EUR |
112.063 EUR |
2011 |
25.167 EUR |
144.900 EUR |
113.563 EUR |
2012 |
22.360 EUR |
121.100 EUR |
91.809 EUR |
2013 |
18.512 EUR |
147.000 EUR |
81.617 EUR |
Summe |
110.688 EUR |
1.234.500 EUR |
625.378 EUR |
in % |
100% |
1115% |
565% |
Mit seiner ausführlichen Antragsschrift, auf deren Inhalt der Senat wegen der weiteren Einzelheiten Bezug nimmt, trägt der Antragsteller u. a. vor, dass es ausreichende Einnahmeursprungaufzeichnungen gegeben habe, die es noch immer gebe. Aus den gesamten bei der Prüfung vorgelegten Umständen sei die Ordnungsgemäßheit der Aufzeichnungen festzustellen, insbesondere auch im Zusammenhang mit den Aussagen der Fahrer. Die Höhe der Schätzung sei vollkommen willkürlich, falsch und liege außerhalb der wirtschaftlichen Realitäten des Unternehmens des Antragstellers. Die Bescheide seien...