Entscheidungsstichwort (Thema)
Entgegenstehende Rechtskraft als negative Sachentscheidungsvoraussetzung eines Klageverfahrens. Unzulässigkeit eines Erlassantrags nach § 227 AO bezüglich Nachzahlungszinsen, wenn zuvor bereits ein mit denselben Argumenten begründeter Antrag auf eine Billigkeitsmaßnahme nach § 163 AO bezüglich der Nachzahlungszinsen bestandskräftig abgelehnt worden ist
Leitsatz (redaktionell)
1. Zu den allgemeinen Prozessvoraussetzungen eines jeden Klageverfahrens gehört das Fehlen von Prozesshindernissen, insbesondere das Fehlen des Prozesshindernisses der entgegenstehenden Rechtskraft. Die entgegenstehende Rechtskraft stellt eine sog. negative Sachentscheidungsvoraussetzung dar, die nicht nur eine abweichende Entscheidung verbietet, sondern das neue Verfahren und eine Entscheidung darin schlicht unzulässig macht. Sie bezieht sich dabei nicht nur auf gerichtliche Entscheidungen, sondern allgemein darauf, dass über denselben Streitgegenstand nicht schon bestandskräftig entschieden sein darf (vgl. FG Hamburg, Urteil v. 31.10.1994, III 193/90).
2. Ist im Festsetzungsverfahren eine Billigkeitsmaßnahme nach § 163 AO von der Finanzbehörde (bestandskräftig) abgelehnt worden, kann der Steuerpflichtige nicht nochmals im Erhebungsverfahren einen gleichlautenden Antrag nach § 227 AO stellen. Eine entsprechende Klage ist wegen der Identität des Streitgegenstandes unzulässig, sofern der Sachverhalt, der eine Unbilligkeit begründen soll, im Erhebungsverfahren derselbe ist wie im Festsetzungsverfahren (vgl. z. B. FG Hamburg, Urteil v. 18.2.2014, 3 K 257/13); von einer Identität in diesem Sinne ist auszugehen, wenn nach einer Umsatzsteuersteuerprüfung bisher steuerfreie Umsätze als steuerpflichtig behandelt worden sind, hinsichtlich der deswegen entstandenen Nachzahlungszinsen nach § 233a AO eine Billigkeitsmaßnahme nach § 163 AO von der Finanzbehörde bestandskräftig abgelehnt worden ist und der Unternehmer nunmehr mit denselben Argumenten wie im Billigkeitsverfahren nach § 163 AO einen Erlass der Nachzahlungszinsen gem. § 227 AO beantragt.
Normenkette
AO §§ 163, 227, 5, 233a; FGO § 40
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens hat die Klägerin zu tragen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten sich über die Rechtmäßigkeit der Ablehnung des Erlasses von Nachzahlungszinsen zur Umsatzsteuer für 2004 bis 2007 gem. § 227 der Abgabenordnung (AO).
Die Klägerin wurde mit Gesellschaftsvertrag vom 1. Juni 1990 gegründet. Gegenstand des Unternehmens ist ausweislich der Eintragungen im Handelsregister die Entwicklung, Herstellung, der Vertrieb von Förderanlagen und Baugruppen aller Art im Bereich Umwelttechnik. Die Klägerin vertreibt weltweit verschiedene Recyclingmaschinen.
Die Maschinen werden in der Regel über Zwischenhändler verkauft. Die Leistungsbeziehungen zwischen der Klägerin, der Händler und der Endkunden sind häufig im Rahmen eines Reihengeschäftes gestaltet.
Der Beklagte führte bei der Klägerin in der Zeit vom 6. Oktober 2009 bis Ende 2010 eine steuerliche Betriebsprüfung für die bereits unter dem Vorbehalt der Nachprüfung veranlagten Jahre 2004 bis 2007 durch. Der Zwischenbericht der Betriebsprüfung datiert auf den 1. April 2010. Die Betriebsprüfung kam zu dem Ergebnis, dass der Klägerin in den Streitjahren 2004 bis 2007 bei bestimmten Reihengeschäften mit ausländischen Händlern die ruhende Lieferung zuzuordnen sei und daher keine Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 1 Buchst. a i.V.m. § 6 Umsatzsteuergesetz (UStG) oder nach § 4 Nr. 1 Buchst. b i.V.m. § 6a UStG in Anspruch genommen werden könne. Die bisher von der Klägerin als steuerfrei behandelten Lieferungen seien daher umsatzsteuerpflichtig.
In Auswertung des Betriebsprüfungsberichtes erließ der Beklagte am 26. April 2010 gemäß § 164 Abs. 2 AO geänderte Bescheide über Umsatzsteuer für 2004 bis 2007, in denen er die Steuer entsprechend heraufsetzte. Gleichzeitig erließ der Beklagte mit den Umsatzsteuerbescheiden verbundene Bescheide über Zinsen zur Umsatzsteuer für die Jahre 2004 bis 2007.
In den Bescheiden vom 26. April 2010 berechnete der Beklagte die Nachzahlungszinsen zur Umsatzsteuer für die Jahre 2004 bis 2007 wie folgt:
2004: |
590.350,00 EUR |
vom 01.04.2006 bis 29.04.2010 = |
48 Monate × 0,5 v.H. = |
141.684,00 EUR |
2005: |
620.850,00 EUR |
vom 01.04.2007 bis 29.04.2010= |
36 Monate × 0,5 v.H. = |
111.753,00 EUR |
2006: |
891.600,00 EUR |
vom 01.04.2008 bis 29.04.2010= |
24 Monate × 0,5 v.H. = |
106.992,00 EUR |
2007: |
1.084.250,00 EUR |
vom 01.04.2009 bis 29.04.2010= |
12 Monate × 0,5 v.H. = |
65.055,00 EUR |
Mit Schreiben vom 28. Mai 2010 legte die Klägerin sowohl gegen die Umsatzsteuerbescheide für 2004 bis 2007 vom 26. April 2010 als auch gegen die Bescheide über die Festsetzung von Zinsen zur Umsatzsteuer für 2004 bis 2007 vom 26. April 2010 Einspruch ein.
Zur Begründung führte sie mit Schreiben vom 16. Juni 2010 aus, dass sie die Feststellungen der Betriebsprüfung umgehend in berichtigten Rechnungen an die ausländischen Händler umgesetzt habe. Die betreffenden Rechnungen im Prüfungszei...