Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine sachliche Unbilligkeit der Festsetzung von Aussetzungszinsen gegenüber dem Rechnungsempfänger bei nachträglicher Versagung des Vorsteuerabzugs, Aussetzung der Vollziehung der dadurch entstandenen Vorsteuerrückforderungen bzw. Umsatzsteuernachforderungen gegenüber dem Rechnungsempfänger bis zum Ergehen eines BFH-Urteils und nachträglicher Rechnungsberichtigung zu Lasten der Klägerin
Leitsatz (redaktionell)
1. Hat die Klägerin den Vorsteuerabzug für ihr im Zusammenhang mit „sale-and-lease-back”-Geschäften fälschlicherweise in Rechnung gestellte Umsatzsteuer in Anspruch genommen, hat das Finanzamt den Vorsteuerabzug später gegenüber der Klägerin in geänderten Umsatzsteuerbescheiden rückgängig gemacht sowie die Vollziehung der nachgeforderten Steuerbeträge bis zum Ergehen eines bestimmten BFH-Urteils ausgesetzt und wurden nach Ergehen dieses – im Ergebnis für die Klägerin ungünstigen –Urteils die Rechnungen berichtigt und der Klägerin vom Rechnungsaussteller die zuvor unberechtigt in Rechnung gestellten Umsatzsteuerbeträge erstattet, so ist die Erhebung von Aussetzungszinsen hinsichtlich der nachgeforderten Steuerbeträge nicht i. S. v. § 237 Abs. 4 i. V. m. § 234 Abs. 2 AO sachlich unbillig.
2. Der durch die Aussetzung der Vollziehung der Umsatzsteuernachforderungsbescheide entstandene Liquiditätsvorteil kann nicht mit Liquiditätsnachteilen aufgrund rechtsgrundloser Zahlung der ausgewiesenen Umsatzsteuer an den Rechnungsaussteller saldiert werden. Der dem Finanzamt durch die Aussetzung der Vollziehung entstandene Zinsnachteil wird auch nicht durch die Abführung der Umsatzsteuer durch den Rechnungsaussteller ausgeglichen.
3. Beim gegenüber § 227 AO vorrangigen Erlass von Aussetzungszinsen gemäß § 237 Abs. 4 i. V. m. § 234 Abs. 2 AO gilt der gleiche Billigkeitsmaßstab wie für den Erlass nach § 227 AO. Abzustellen ist ausschließlich auf das konkrete Steuerschuldverhältnis (hier: zwischen der Klägerin als Rechnungsempfängerin und dem für sie zuständigen Finanzamt), ohne Berücksichtigung anderer Steuerschuldverhältnisse (hier: zwischen Rechnungsaussteller und dem für ihn zuständigen Finanzamt). Für den etwaigen Erlass von Aussetzungszinsen aus sachlichen Billigkeitsgründen kommt es nicht auf eine fiktive Berechnung der Liquidität, sondern entscheidend darauf an, ob der Steuerschuldner aufgrund der erst späteren Steuerzahlung Liquiditätsvorteile gehabt hat, weil er von der Zahlung der geschuldeten Steuer vorerst aufgrund der Aussetzung der Vollziehung „freigestellt” gewesen ist.
Normenkette
AO § 237 Abs. 4, § 234 Abs. 2, §§ 227, 5; FGO § 102 S. 1; UStG 1999 § 14 Abs. 2 S. 2, § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, Abs. 2, § 17 Abs. 1 S. 3
Nachgehend
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens hat die Klägerin zu tragen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über den Erlass von Aussetzungszinsen zur Umsatzsteuer für 2000, 2001, 2002, 2003 und 2004.
Nachdem die Einspruchsverfahren gegen die Umsatzsteuerbescheide für die genannten Besteuerungszeiträume bis zu einer Entscheidung des Bundesfinanzhofs im Verfahren V R 22/03 geruht und der Beklagte deren Vollziehung ausgesetzt hatte, setzte er mit Bescheid vom 30. November 2006 die Aussetzungszinsen zur Umsatzsteuer wie folgt fest:
Aussetzungszinsen zur Umsatzsteuer für |
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2000 |
7.335,– EUR |
2001 |
9.198,– EUR |
2002 |
13.500,– EUR |
2003 |
6.702,– EUR |
2004 |
1.567,– EUR |
Die Klägerin legte hiergegen keine Einsprüche ein.
Mit Bescheiden vom 27. August 2008 lehnte der Beklagte die Anträge auf Erlass der Aussetzungszinsen, die die Klägerin u.a. auf TZ 70.2.3 AEAO zu § 233 a hatte stützten wollen, ab. Er führte aus, Umstände, die der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des gesetzlichen Tatbestands bewusst in Kauf genommen habe, rechtfertigten keine Billigkeitsmaßnahme. Sinn und Zweck der Verzinsung sei nicht nur die Abschöpfung von Liquiditätsvorteilen auf Seiten des Steuerpflichtigen, sondern auch der Ausgleich von Liquiditätsnachteilen auf Seiten des Steuergläubigers. Selbst wenn der Steuerpflichtigen tatsächlich keine Zinsvorteile erwachsen seien, sei es unerheblich, wenn der Steuergläubiger die späte Steuerfestsetzung zu vertreten habe. Dass gemäß § 237 AO i.V.m. § 234 Abs. 2 auf Aussetzungszinsen verzichtet werden könne, könne er nicht nachvollziehen, da in § 234 Abs. 2 AO der Verzicht auf Stundungszinsen geregelt sei. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Ablehnungsbescheide Bezug genommen.
Die dagegen gerichteten Einsprüche gingen beim Beklagten am 02. September 2008 ein. Die Klägerin führte aus, die Aussetzung der Vollziehung habe ihr keinen Liquiditätsvorteil verschafft.
Zinsvorteile habe ausschließlich das Finanzamt K. genossen, während Zinsnachteile ausschließlich dem Finanzamt H. erwachsen seien. Denn das Finanzamt K. habe die umsatzsteuerliche Behandlung der sale-and-leaseback-Geschäfte durch die Klägerin und ihren Geschäftspartner bis zur Entscheidung des BFH im Verfahren V R 22/03 für zutr...