rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Wirksame Bekanntgabe eines Kindergeldbescheids gegenüber nur eingeschränkt geschäftsfähigem Kindergeldberechtigten. Wiedereinsetzung bei Versäumung der Einspruchsfrist aufgrund Verschuldens des Betreuers eines Kindergeldberechtigten
Leitsatz (redaktionell)
1. Ist ein Kindergeldberechtigter in seiner Geschäftsfähigkeit eingeschränkt und ordnet das einen Betreuer bestellende Vormundschaftsgericht keinen Einwilligungsvorbehalt nach § 1903 BGB an bzw. erstreckt sich die Betreuung nicht auch gem. § 1986 Abs. 4 BGB auf die Postangelegenheiten, kann ein Verwaltungsakt (hier: Kindergeldablehnungsbescheid) auch wirksam gegenüber dem betreuten Kindergeldberechtigten bekannt gegeben werden (sog. Doppelzuständigkeit).
2. Erfolgt die Bestellung eines Betreuers für einen Kindergeldberechtigten u.a. für den Aufgabenkreis Vermögenssorge und Vertretung gegenüber Behörden, obliegt die Wahrung der Einspruchsfrist für einen Kindergeldablehnungsbescheid –neben dem Kindergeldberechtigten– dem Betreuer. Wird nach Versäumung der Einspruchsfrist zur Begründung eines Wiedereinsetzungsantrags lediglich pauschal auf den täglichen Alkoholkonsum der Kindergeldberechtigten verwiesen, genügt dies nicht zur Darlegung und Glaubhaftmachung von Wiedereinsetzungsgründen.
3. Die Versäumnis des bereits seit acht Monaten bestellten Betreuers Vorsorge für eine rechtzeitige Einspruchseinlegung zu treffen, muss sich der Kindergeldberechtigte zurechnen lassen.
4. Bei einer kurz nach Beginn der Betreuung auftretenden Fristversäumnis erscheint es denkbar, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewähren zu können.
Normenkette
AO § 79 Abs. 1-3, § 355 Abs. 1 S. 1, § 110; BGB § 104 Nr. 2, §§ 1903, 1896 Abs. 1, 4; ZPO § 53; EStG §§ 62, 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 3
Tenor
Das Verfahren wird abgetrennt, soweit Streitgegenstand die Festsetzung von Kindergeld für den Zeitraum von April 2000 bis einschließlich Februar 2004 war, und unter dem Aktenzeichen 4 K 194/08 nach § 72 Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung eingestellt.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens – einschließlich der Kosten des abgetrennten Verfahrens 4 K 194/08 – hat die Klägerin zu tragen.
Der Streitwert für das abgetrennte Verfahrens 4 K 194/08 beträgt 6.902,00 Euro. Der Streitwert für das Verfahren 4 K 562/05 beträgt 1.694,00 Euro.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um Kindergeld für das Kind A., dessen Gewährung die Klägerin für den Zeitraum von März 2004 bis Januar 2005 begehrt.
Die Klägerin beantragte im März 2004 für ihre 1974 geborene Tochter A. Kindergeld. Zur Begründung ihres Antrages legte die Klägerin eine Kopie der Bestallung der Frau M. zur Berufsbetreuerin ihrer Tochter vor sowie einen ihrer Tochter erteilten Rentenbescheid, aus der die Höhe der Erwerbsunfähigkeitsrente ab Juli 2003 hervorgeht. Nachdem die Klägerin die Aufforderung der Familienkasse, den Nachweis über die Behinderung ihrer Tochter (Schwerbehindertenausweis) vorzulegen, unbeantwortet gelassen hatte, lehnte der Beklagte den Antrag mit Bescheid vom 12. Januar 2005 ab.
Mit Schreiben vom 26. Februar 2005, dass am 01. März 2005 bei dem Beklagten einging, wandte sich die damalige Betreuerin der Klägerin – Frau B. – an den Beklagten und erhob „Widerspruch gegen den Bescheid vom 12.01.2005, Eingang am 17.01.2005”. Hierzu führte sie aus, dass sie um Nachsicht in der Kindergeldsache bitte, weil die Klägerin nicht in der Lage sei, ihre Zuarbeit für die Familienkasse pünktlich zu erledigen. Dem Schreiben legte sie unter anderem Kopien ihrer Bestellung zur Berufsbetreuerin der Klägerin vom 05. Mai 2004 sowie des Schwerbehindertenausweises der Tochter der Klägerin bei. Der Beklagte verwarf den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 14. März 2005 als unzulässig mit der Begründung, dass die Einspruchsfrist nicht eingehalten worden sei.
Parallel dazu wertete der Beklagte das Schreiben vom 26. Februar 2005 als neuen Antrag und setzte hierauf mit Bescheid vom 12. April 2005 Kindergeld ab Februar 2005 in Höhe von 154,00 Euro monatlich fest.
Die Betreuerin B. hat am 15. April 2005 für die Klägerin Klage erhoben mit dem ausdrücklich erklärten Ziel, den Beklagten zu verpflichten, Kindergeld rückwirkend für vier Jahre – gerechnet ab Antragstellung am 04. März 2004 – festzusetzen.
Hierzu führt sie an, sowohl sie – die Klägerin – als auch ihre Tochter seien unter Betreuung gestellt, weil sie nicht in der Lage seien, ihre Angelegenheiten in vollem Umfang selbst zu besorgen. Die Betreuung sei der Familienkasse angezeigt worden. Der Beklagte habe den Schriftwechsel gleichwohl mit der betreuten Klägerin selbst geführt, nicht aber mit der hierzu berufenen Betreuerin. Aus diesem Grund sei „den Betreuern die Ablehnung vom 17.01.05 erst am 26.02.05 bekannt geworden”. Deshalb sei „nach verspäteter Bekanntgabe” Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Die Betreuung sei wegen einer „schweren depressiven Episode und Alkoholkrankheit” eingerichtet worden. Die Klägerin leide an akuten Psychosen,...