rechtskräftig

 

Entscheidungsstichwort (Thema)

Antrag auf Einstweilige Anordnung der Einstellung der Vollstreckung wegen Gesundheitsgefährdung des Schuldners. Ermessensentscheidung des Gerichts. Güterabwägung

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Ein bei Gericht gestellter Antrag auf einstweilige Anordnung, mit dem der Antragsteller eine einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung nach § 258 AO wegen Unbilligkeit erstrebt, ohne die zugrunde liegende Pfändungs- und Einziehungsverfügung anzufechten, ist zulässig. Das Gericht ist befugt, die einstweilige Anordnung in Ausübung eigenen Ermessens (Interimsermessen) zu treffen.

2. Das in Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG enthaltene verfassungsrechtliche Gebot zum Schutze des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit ist im Verwaltungsvollstreckungsverfahren nach den §§ 249 ff. AO nicht durch eine entsprechende Anwendung des § 765a ZPO zu beachten, sondern bei der Anwendung und Auslegung des § 258 AO zu berücksichtigen.

3. Ausführungen zur Abwägung zwischen dem Grundrecht des Vollstreckungsschuldners auf körperliche Unversehrtheit, dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit und den Gläubigerinteressen des Fiskus. Im Streitfall sah das Gericht keine Anhaltspunkte dafür, dass die Vollstreckungsmaßnahmen wegen einer akuten Bedrohung der Gesundheit des Antragsstellers bis hin zur Lebensgefahr einzustellen seien.

4. Im Rahmen der Güterabwägung wurde berücksichtigt, dass die beizutreibenden Haftungsschulden aus dem eigenen strafrechtlich relevanten Verhalten des Antragsstellers herrührten.

 

Normenkette

FGO § 114 Abs. 1 S. 1, Abs. 3; AO 1977 § 258; GG Art. 2 Abs. 2 S. 1; ZPO § 765a

 

Nachgehend

BFH (Beschluss vom 23.05.2006; Aktenzeichen VII B 52/06)

BFH (Beschluss vom 23.05.2006; Aktenzeichen VII B 52/06)

 

Tenor

1. Der Antrag wird als unbegründet zurückgewiesen.

2. Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsteller.

3. Die Entscheidung ergeht endgültig.

 

Tatbestand

I.

Der Ast. begehrt die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung wegen unbilliger Härte.

Der Ast. ist ehemaliger Finanzbeamter der saarländischen Finanzverwaltung. Er war im Jahr 2001 wegen Steuerhinterziehung in 29 Fällen vor dem Amtsgericht S. – Schöffengericht – angeklagt worden, das Gericht stellte das Verfahren jedoch wegen voraussichtlich dauernder Verhandlungsunfähigkeit ein. Für ein von seinem Dienstherrn eingeleitetes, noch schwebendes Disziplinarverfahren war ein Betreuer bestellt worden. Der Ag. nahm ihn wegen Umsatzsteuerschulden der E-GmbH in Höhe von über 800.000 Euro haftungsweise in Anspruch und betreibt die Zwangsvollstreckung aus dem Haftungsbescheid vom 28. August 2001, der in Bestandskraft erwachsen ist, nachdem der Ast. eine hiergegen gerichtete Klage zurückgenommen hatte. Des weiteren vollstreckt der Ast. verschiedene Steuerbescheide, die gegenüber dem Ast. als Einzelunternehmer ergangen waren. Die Schulden des Ast. haben eine Höhe von insgesamt über 1.700.000 Euro erreicht.

Wegen zweier Pfändungs- und Einziehungsverfügungen, die der Ag. am 1. Dezember 2005 unter anderem gegenüber der D. in F. sowie gegenüber der I. ebenfalls in F. ausgebracht hatte, hatte der Ast. einen gerichtlichen Antrag auf AdV gestellt, den der 2. Senat des Finanzgerichts mit seinem Beschluss vom 10. Januar 2006 2 V 409/05 als unbegründet zurückwies.

Am 30. Januar 2006 hat der Ag. eine Pfändungs- und Einziehungsverfügung gegenüber der F. in B., erlassen, von welcher der Ast. kurz danach Kenntnis erlangt hat und mit der die Provisions- und Vergütungsansprüche des Ast. gegen die Drittschuldnerin gepfändet wurden.

Am 2. Januar 2006 hat der Ast. den vorliegenden Antrag, der beim Finanzgericht per Telefax um 20.27 Uhr einging, gestellt.

Der Ast. begründet seinen Antrag im Wesentlichen sinngemäß damit, dass die genannte Forderungspfändung seinen Gesundheitszustand gefährde und sogar zu einer akuten Lebensgefahr führe. Zur Glaubhaftmachung seines Vortrags hat er drei ärztliche Atteste vorgelegt, die zwischen dem 30. Januar 2006 und dem 2. Februar 2006 angefertigt wurden.

Er beantragt sinngemäß,

dem Ag. vorläufig im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, die Zwangsvollstreckung einstweilen einzustellen.

Der Ag. stellt keinen Antrag.

In einem Telefonat mit dem Gericht vom heutigen Tag hat der Ag. zugesagt, die Einziehungsverfügung unter dem Vorbehalt des Widerrufs einstweilen auszusetzen und dies dem Drittschuldner sowie dem Ast. unverzüglich mitzuteilen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der von den Beteiligten gewechselten Schriftsätze sowie auf die vorliegenden Behördenakten und die Prozessakte des Verfahrens 2 V 409/05 verwiesen.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die Entscheidung ergeht wegen der Dringlichkeit des Falles nach § 114 Abs. 2 Satz 3 FGO durch den Vorsitzenden des Senats.

1. Der Antrag ist zulässig.

Insbesondere besteht ein besonderes Rechtsschutzbedürfnis des Ast., da er eine einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung nach § 258 AO wegen Unbilligkeit erstrebt, ohne die zugrunde liegende Pfändungs- und Einzi...

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