rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Prüfungsumfang des Finanzgerichts bei von der Finanzbehörde nur gegen eine Sicherheitsleistung gewährten Aussetzung der Vollziehung
Leitsatz (redaktionell)
1. Im Verfahren der Aussetzung der Vollziehung: Wurde von der Finanzbehörde Aussetzung der Vollziehung unter der aufschiebenden Bedingung der Gestellung einer Sicherheitsleistung gewährt, gegen die sich der Steuerpflichtige wehrt, und hat er erst nach Ablauf der Frist, innerhalb derer die Sicherheitsleistung zu erbringen ist, beim Finanzgericht Aussetzung der Vollziehung ohne Sicherheitsleistung beantragt, so hat das Finanzgericht nicht nur über die Sicherheitsleistung, sondern auch über die Aussetzung der Vollziehung zu entscheiden und mithin die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für ihre Gewährung zu prüfen.
2. Ist dagegen zum Zeitpunkt der Antragstellung bei Gericht die vom Finanzamt eingeräumte Frist zur Gestellung der Sicherheit noch nicht abgelaufen oder keine Frist bestimmt worden, ist das Finanzgericht auf die Ermessensentscheidung bezüglich der Anforderung der Sicherheitsleistung beschränkt.
3. Bei einer gerichtlichen Entscheidung über Aussetzung der Vollziehung hat das Finanzgericht eine eigene Ermessensentscheidung zu treffen und nicht nur die Ermessensentscheidung der Finanzbehörde zu überprüfen und ggf. zu modifizieren.
4. Die Aussetzung der Vollziehung gegen Leistung einer Sicherheit ist angezeigt, wenn die spätere Vollstreckung der Steuerforderung infolge der Aussetzung der Vollziehung gefährdet oder erschwert erscheint. Für die Anordnung einer Sicherheitsleistung muss die Finanzbehörde die für eine Gefährdung des Steueranspruchs sprechenden Gesichtspunkte vortragen und der Steuerpflichtige ggf. Umstände, die ein (dargelegtes) Sicherungsbedürfnis der Behörde entfallen oder unangemessen erscheinen lassen, darlegen und glaubhaft machen. Die Finanzbehörde muss dafür konkrete Umstände darlegen; es reicht zur Begründung nicht aus, z. B. lediglich pauschal auf die Höhe des Steueranspruchs zu verweisen (im Streitfall: Gewährung einer Aussetzung der Vollziehung ohne Sicherheitsleistung bei einem die streitige Steuernachforderung um ein Vielfaches übersteigenden erheblichen Kapitalvermögen des Steuerpflichtigen).
Normenkette
FGO § 69 Abs. 2 S. 2, Abs. 3 S. 1
Tenor
Die Aussetzungsverfügung des Antragsgegners vom 12. Juli 2021 wird dahingehend geändert, dass dem Antragsteller Aussetzung der Vollziehung ohne Sicherheitsleistung gewährt wird.
Die Kosten des Verfahrens werden dem Antragsgegner auferlegt.
Die Beschwerde wird zugelassen.
Tatbestand
I.
Der Antragsteller wird zusammen mit seiner Ehefrau beim Antragsgegner zur Einkommensteuer veranlagt. Mit Bescheid vom 17. Mai 2021 setzte der Antragsgegner ohne die Berücksichtigung eines erklärten Verlusts in Höhe von … EUR aus der Beteiligung des Antragstellers an der C KG (künftig: KG) die Einkommensteuer für 20XX auf … EUR fest. Mit Datum vom 17. Juni 2021 erging ein geänderter Bescheid, mit dem die Einkommensteuer für 20XX – ebenfalls ohne die Berücksichtigung des geltend gemachten Verlusts – auf … EUR festgesetzt wurde. Am 18. Juni 2021 legte der Antragsteller Einspruch ein und beantragte beim Antragsgegner die Aussetzung der Vollziehung. Mit Verfügung vom 12. Juli 2021 gewährte der Antragsgegner die Aussetzung der Vollziehung unter der – als „aufschiebend” bezeichneten – Bedingung einer bis zum 20. August 2021 zu erbringenden Sicherheitsleistung in Form einer Bankbürgschaft in Höhe des streitigen Betrags.
Am 13. August 2021 hat sich der Antragsteller an das Gericht gewandt (Bl. 1). Er beantragt,
den Bescheid über Einkommensteuer für 20XX vom 17. Juni 2021 ohne Sicherheitsleistung von der Vollziehung auszusetzen.
Der Antragsteller macht geltend, die Anordnung der Aussetzung der Vollziehung nur gegen Sicherheitsleistung sei ermessensfehlerhaft. Der Antragsgegner habe überhaupt keine Ermessenserwägungen angestellt. Jedenfalls fehle es an einer Begründung. Eine Heilung dieses Fehlers habe im finanzgerichtlichen Verfahren nicht mehr erfolgen können. § 102 Satz 2 FGO erlaube zwar die Ergänzung von Ermessenserwägungen bis zum Abschluss der Tatsacheninstanz eines finanzgerichtlichen Verfahrens, nicht aber die vollständige Nachholung. Im Übrigen fehle es an einer Gefährdung des Steueranspruchs. Der Antragsteller habe – worüber auch in der Presse berichtet worden sei – seinen Unternehmensanteil an der Firma D 20XX für … EUR verkauft. Schon deshalb bestünden keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass der Antragsteller seinen Zahlungsverpflichtungen nicht nachkommen könne. Der Antragsteller sei auch zu keinem Zeitpunkt aufgefordert worden, zu seiner vermögensrechtlichen Situation Auskünfte zu erteilen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag als unbegründet zurückzuweisen.
Bei nochmaliger Prüfung der Sach- und Rechtslage bestünden keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Einkommensteuerbescheids für 20XX. Der geltend gemachte Verlust sei mangels einer entsprechend...