rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Dinglicher Arrest. Arrestgrund. Arrestanspruch. Scheinrechnung. Scheinfirma. Arrestanordnung vom 16. Januar 2003
Leitsatz (redaktionell)
1. Die nachhaltige Schmälerung des Betriebsvermögens durch die Einbuchung von Scheinrechnungen ist ein Arrestgrund i.S.d. § 324 Abs. 1 S. 1 AO.
2. Der Steuerpflichtige erfüllt beim Vorsteuerabzug seine Nachweispflicht normalerweise durch die Vorlage einer nach Form und Inhalt ordnungsgemäßen Rechnung. Ermittelt das Finanzamt jedoch erhebliche Umstände, die darauf hindeuten, dass es sich bei dem Rechnungsaussteller um eine Scheinfirma oder bei der in Rechnung gestellten Leistung um eine Scheinleistung handelt, so hat der Steuerpflichtige seinerseits nachzuweisen, dass dies nicht zutrifft und die Leistungen ordnungsgemäß – wie in der Rechnung ausgewiesen – erbracht worden sind.
Normenkette
AO § 324 Abs. 1; UStG § 15 Abs. 1
Nachgehend
Tenor
1. Die Klage wird als unbegründet abgewiesen.
2. Die Kosten des Verfahrens werden der Klägerin auferlegt.
Tatbestand
Die Klägerin, eine durch Vertrag vom 18. Mai 1999 gegründete GmbH, betreibt ein Unternehmen zur Herstellung von Industriefußböden. Sie setzt das bisherige Einzelunternehmen des türkischen Staatsangehörigen und Betonbauers Y fort, das dieser am 15. August 1997 in L angemeldet hatte (Sitzverlegung nach H am 6. März 1998). Die Stammanteile wurden zunächst von Y i.H.v. 10.000 EUR und Ö (ebenfalls türkischer Staatsangehöriger und Betonbauer) i.H.v. 15.000 EUR gehalten (Bl. 3 ff. Dok). Im Juli 2000 hat Y seine Anteile für 15.000 DM an Ö verkauft (Bl. 18 ff. Dok).
Die Gewinn- und Verlustrechnungen der Klägerin weisen folgende Daten aus:
|
1999 |
2000 |
2001 |
|
DM |
DM |
DM |
Umsatz |
680.741 |
2.123.381 |
2.416.394 |
Fremdleistungen |
134.927 |
656.678 |
1.155.751 |
Löhne und Gehälter |
155.035 |
324.863 |
425.639 |
Gewinn/Verlust |
+ 66.674 |
+ 148.775 |
- 448.459 |
Bei der Überprüfung des Vorsteuerüberschusses der Voranmeldung 12/2001 wurde zunächst eine Umsatzsteuersonderprüfung eingeleitet, deren Ermittlungen sodann von der Steuerfahndung übernommen worden sind (Bl. 67; Bl. 1 ff. Rbh). Die Steuerfahndung kam zu der Überzeugung, dass es sich bei einem nicht unerheblichen Teil der in der Buchführung der Klägerin enthaltenen Rechnungen um sogenannte „Abdeckrechungen” von Scheinunternehmen handele, für die der Vorsteuerabzug zu versagen sei. Sie beanstandete den Vorsteuerabzug aus den Rechnungen folgender Firmen (s. zu Einzelheiten: Schreiben der Steuerfahndung vom 10. Januar 2003, Bl. 45 ff., 48):
|
1999 |
2001 |
2002 |
|
DM |
DM |
EUR |
A GmbH |
6.740 |
|
|
B GmbH |
10.028 |
2.429 |
|
C GmbH |
|
8.045 |
|
D GdbR |
|
84.898 |
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E GmbH |
|
73.997 |
|
F GmbH |
|
|
8.739 |
G GmbH |
|
|
22.019 |
Gesamt |
16.768 |
169.369 |
30.758 |
Gemäß § 58 Abs. 2 UStDV sind zu versteuern |
H |
38.940 |
|
|
I |
59.480 |
|
|
Gesamt |
|
98.420 |
|
Mit Schreiben vom 19. Dezember 2002 machte die Klägerin gegenüber dem Beklagten die Auszahlung eines Steuerguthabens i.H.v. 24.540 EUR geltend und wies auf eine mögliche Insolvenz bei verzögerter Auszahlung hin (Bl. 6 Rbh). Am 16. Januar 2003 erließ der Beklagte eine Arrestanordnung, durch die er den dinglichen Arrest in das Vermögen der Klägerin wegen der o.g. Umsatzsteuerbeträge i.H.v. insgesamt 176.249 EUR anordnete (Bl. 17 ff. Rbh). Am 17. Januar 2003 widerrief er die Freistellungsbescheinigung (§ 48 b EStG) vom 2. August 2002 (Bl. 11).
Am 4. Februar 2003 erhob die Klägerin Klage. Sie beantragt,
die Arrestanordnung vom 16. Januar 2003 aufzuheben.
Der Beklagte habe aufgrund des Arrestes nicht nur das Geschäftskonto der Klägerin, sondern auch sämtliche Ansprüche gegen tatsächliche oder vermeintliche Geschäftskunden gepfändet und zwinge sie dadurch, unverzüglich Insolvenzantrag zu stellen (Bl. 2).
– Zum Arrestgrund
Noch im August 2002 habe der Beklagte eine Freistellungsbescheinigung erteilt und damit zum Ausdruck gebracht, dass es sich bei der Klägerin um einen zuverlässigen Steuerschuldner handele. Dies habe der Sachbearbeiter des Beklagten, Herr R, auf Vorsprache noch einmal bestätigt. Es würden keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Beitreibung von Steueransprüchen ohne den Arrest vereitelt oder erschwert werde (Bl. 3 f.).
Der Hinweis der Klägerin auf eine mögliche Insolvenzreife habe den Beklagten veranlasst, den Arrest auszubringen. Darüber, dass die Klägerin ihr Vermögen bewusst schmälere, würden sich weder im Bericht der Steuerfahndung noch im Gerichtsbescheid Feststellungen finden. Zudem sei die beabsichtigte Vermögensschmälerung zu dem Zeitpunkt zu prognostizieren, zu dem der Arrest erlassen und beantragt worden sei, also zum Januar 2003 (Bl. 177). Hiernach zeige sich nach den Feststellungen der Steuerfahndung aber für 2002 gegenüber 2001 eine stark fallende Tendenz der beanstandeten Vorsteuerbeträge. Die Tatsache, dass der Geschäftsführer der Klägerin türkischer Staatsangehöriger sei, dürfe keine Rolle spielen. Es sei dem Beklagten möglich gewesen, die Bankverbindung der Klägerin zu pfänden (Bl. 178). De...