Entscheidungsstichwort (Thema)
Streitwert bei Aufhebung einer Kindergeldfestsetzung: Erhöhung um den einfachen Jahresbetrag –Offensichtlich absehbare Auswirkungen auf künftige Geldleistungen – Unfähigkeit zum Selbstunterhalt aufgrund einer Behinderung
Leitsatz (redaktionell)
Der Streitwert eines Klageverfahrens wegen Aufhebung einer Kindergeldfestsetzung ist über die bis zum Ende des Monats der Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung streitigen Beträge hinaus um den einfachen Jahresbetrag des Kindergeldes zu erhöhen, wenn die offensichtlich auch für künftige Monate erhebliche Frage der Ursächlichkeit einer Behinderung für die Unfähigkeit des Kindes, sich selbst zu unterhalten, streitig ist.
Normenkette
GKG § 52 Abs. 1, 3 Sätze 1-3
Gründe
Der Streitwert in Verfahren vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit wird gemäß § 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz -GKG- nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache bestimmt. Nach § 52 Abs. 3 Satz 1 GKG ist bei Klagebegehren, die sich auf eine bezifferte Geldleistung oder einen hierauf bezogenen Verwaltungsakt beziehen, deren Höhe maßgeblich. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhof -BFH- umfasst der Aufhebungsbescheid einer Kindergeldfestsetzung nur eine Regelung des Kindergeldanspruchs vom Monat der Aufhebung bis zum Ende des Monats der Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung (vgl. etwa BFH, Urteil vom 22.12.2011 III R 41/07, Bundessteuerblatt -BStBl- II 2012, 681; vom 05.07.2012 V R 58/10, Sammlung der Entscheidungen des BFH -BFH/NV- 2012, 1953; vom 24.07.2013 XI R 24/12, BFH/NV 2013, 1920; Beschluss vom 12.11.2013 VI B 94/13, BFH/NV 2014, 176).
Der BFH hat im Nachvollzug zu seiner Rechtsprechung zum Regelungsumfang des Aufhebungsbescheids entschieden, dass auch für den Streitwert der Zeitraum vom Monat der Aufhebung der Kindergeldfestsetzung bis zum Monat der Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung maßgeblich ist (vgl. BFH, Beschluss vom 02.10.2014 III S 2/14, BStBl II 2015, 37; siehe auch BFH-Beschluss vom 18.11.2014 V S 30/14, BFH/NV 2015, 346 für eine Verpflichtungsklage).
Für Zeiträume ab 16.07.2014 sind zudem die Vorschriften des § 52 Abs. 3 Sätze 2 und 3 GKG zu beachten. Danach ist eine Erhöhung des sich nach § 52 Abs. 3 Satz 1 GKG ergebenden Streitwerts in Kindergeldfällen um den einfachen Jahresbetrag in den Fällen vorgesehen, in denen der Antrag des Klägers offensichtlich absehbare Auswirkungen auf künftige Geldleistungen oder auf noch zu erlassende, auf derartige Geldleistungen bezogene Verwaltungsakte hat. Im finanzgerichtlichen Verfahren hat ein Antrag dann i.S. von § 52 Abs. 3 Satz 2 GKG „offensichtlich absehbare Auswirkungen auf künftige Geldleistungen oder auf noch zu erlassende, auf derartige Geldleistungen bezogene Verwaltungsakte”, wenn ohne umfangreiche Prüfung oder aufwändige Überlegungen, also auf den ersten Blick, erkennbar ist, dass der konkret verwirklichte Sachverhalt auch die Höhe zukünftiger Steuerfestsetzungen beeinflusst. Nicht ausreichend ist es, wenn dieselbe rechtliche Problematik zwar in zukünftigen Zeiträumen auftritt, die Verwirklichung des entsprechenden konkreten Sachverhalts aber nicht hinreichend sicher absehbar ist (vgl. BFH, Beschluss vom 17.08.2015 XI S 1/15, BStBl II 2015, 906). Maßgeblicher Zeitpunkt der Beurteilung ist die Klageerhebung (BFH, Beschluss vom 17.08.2015 XI S 1/15, BStBl II 2015, 906).
Nach diesen Grundsätzen ist der Streitwert wie folgt zu ermitteln:
Es ist zum einen das beantragte Kindergeld ab dem Zeitpunkt von dessen Aufhebung bis zum Monat der Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung - hier also für den Zeitraum Februar 2020 bis April 2020 (3 x 204 EUR = 612 EUR) - zu berücksichtigen.
Zum anderen hat eine Erhöhung um den einfachen Jahresbetrag nach § 52 Abs. 3 Sätze 2 und 3 GKG zu erfolgen. Denn im vorliegenden Fall, in dem lediglich die Frage der Ursächlichkeit der unstreitig feststehenden Behinderung für die Unfähigkeit des Kindes ist, sich selbst zu unterhalten, streitig war, war ohne umfangreiche Prüfung oder aufwändige Überlegungen erkennbar, dass der im Klageverfahren streitige Sachverhalt auch künftige (nach der Einspruchsentscheidung liegende) Monate beeinflusst (so für den Fall einer Behinderung auch Reuß, Entscheidungen der Finanzgerichte -EFG- 2015, 1859). Das zeigt sich im konkreten Fall im Übrigen auch daran, dass die Beklagte aufgrund der Feststellungen im Klageverfahren einen Bewilligungsbescheid ab Mai 2020 und damit für die Monate nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung erlassen hat. Der Jahreswert ist anhand der im Zeitpunkt der Klageerhebung gültigen Kindergeldhöhe (damals 204 EUR) zu bemessen, die Erhöhung auf 219 EUR erfolgte erst durch das Zweite Gesetz zur steuerlichen Entlastung von Familien sowie zur Anpassung weiterer steuerlicher Regelungen vom 01.12.2020 (Bundesgesetzblatt I, 2616) mit Wirkung zum 01.01.2021 und damit nach Klageerhebung.
Nicht einzubeziehen in die Streitwertberechnung ist der Monat der Klageerhebung (Mai 2020), da mangels Festset...