Entscheidungsstichwort (Thema)

Gewerbliche Infektion der Einkünfte einer Gemeinschaftspraxis durch die Abgabe von Arzneimitteln

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die Abgabe von Arzneimitteln (Faktorzubereitungen) zur Heimselbstbehandlung im Rahmen der integrierten Versorgung von Hämatophiliepatienten durch eine ärztliche Gemeinschaftspraxis führt zur gewerblichen Infektion der freiberuflichen Einkünfte, da sie nicht untrennbar mit der freiberuflichen Tätigkeit verbunden ist.

2. Wirtschaftliche Erwägungen und Effizienzvorteile führen nicht dazu, dass die Abgabe der Präparate als unselbständiger Teil der ärztlichen Heilbehandlung anzusehen wäre.

3. Aus dem Umstand, dass die Apothekenpflicht in § 47 AMG partiell aufgehoben und Ärzten der Verkauf von Medikamenten gestattet wird, kann kein Rückschluss auf die steuerliche Behandlung erfolgen.

 

Normenkette

EStG § 15 Abs. 3 Nr. 1; AMG § 47

 

Streitjahr(e)

2009, 2010, 2011

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob aufgrund der Abgabe von Präparaten an Hämatophiliepatienten (Bluter) zur Heimselbstbehandlung im Rahmen einer integrierten Versorgung die gesamte Tätigkeit einer Gemeinschaftspraxis als gewerblich zu behandeln ist.

Bei der Klägerin handelt es sich um eine zum 01.01.2011 gegründete Partnerschaftsgesellschaft. An ihr sind zwei Fachärztinnen sowie ein weiterer Facharzt beteiligt. Zum Leistungsangebot der Gemeinschaftspraxis gehört insbesondere die komplette Diagnostik und Therapieempfehlung. Die Praxis unterhält in diesem Zusammenhang auch ein Speziallaboratorium für Blutgerinnung inklusive eigener Molekularbiologie sowie ein Notfalldepot für sämtliche Gerinnungsfaktorkonzentrate.

Die Klägerin behandelt vornehmlich Kassenpatienten im Rahmen einer so genannten integrierten Versorgung nach § 140a ff. des Fünften Sozialgesetzbuchs (SGB V). Bei der integrierten Versorgung werden zwischen Arzt und Krankenkasse Verträge abgeschlossen, nach denen die Krankenkasse dem Arzt für die Behandlung der Patienten Fallpauschalen zahlt, die sowohl die medizinische Betreuung als auch die Abgabe von Arzneien und Hilfsmitteln zum Inhalt haben. Die Klägerin hat mit einer Ersatzkasse am 27.10.2010 einen Vertrag zur integrierten Versorgung nach den §§ 140a ff. SGB V abgeschlossen. Gleichfalls wurde zum 29.10.2010 bzw. 10.11.2010 eine Vereinbarung über die Abgabe von Blutprodukten nach § 47 des Arzneimittelgesetzes (AMG) mit dem Verband der Ersatzkassen e.V. als Bevollmächtigter von sechs Ersatzkassen getroffen.

Die Klägerin hat nach dem geschlossenen Behandlungsvertrag vom 27.10.2010 unter anderem im Rahmen der integrierten Versorgung die Behandlung der Patienten zu organisieren und zu koordinieren und zusätzlich auch Qualitätszirkel zu betreuen. Dabei muss sie dem Patienten für Zeiten außerhalb der regelmäßigen Praxisöffnungszeiten eine Notfalltelefonnummer zur Verfügung stellen und die Erreichbarkeit gewährleisten. Elementare Aufgabe der Klägerin ist nach dem Behandlungsvertrag die wirtschaftliche Versorgung der teilnehmenden Versicherten mit Konzentraten im Rahmen der ärztlich kontrollierten Heimselbstbehandlung.

Der übliche Behandlungsablauf stellt sich derart dar, dass neue Patienten zunächst ca. drei Mal in der Woche in der Praxis behandelt werden. Die ersten 50 bis 100 Injektionen werden dabei durch Ärzte in der Praxis durchgeführt. Die Patienten werden dann darauf geschult, sich die Injektionen zuhause selbst zu verabreichen. Bei Patienten bis zu 8 Jahren werden zunächst die Eltern geschult. Es dauert im Regelfall 6 bis 12 Monate, bis der Patient die Behandlung zuhause eigenständig durchführen kann. Die Schulung dauert so lange, da die verabreichten Mittel nicht außerhalb der Venen in den Körper gelangen dürfen, da andernfalls mit erheblichen negativen Folgewirkungen zu rechnen ist. Nach Abschluss der Schulung werden den Patienten im Regelfall Präparate für die nächsten drei Monate mitgegeben. Der verantwortliche Arzt hat die Dokumentation der Heimselbstbehandlung sicherzustellen und zu überprüfen und für jeden Teilnehmer einen individuellen schriftlichen Therapieplan aufzustellen. Die Patienten haben die Selbstmedikation zu dokumentieren und den Ärzten vorzulegen. Der Arzt hat die Dokumentation in regelmäßigen Abständen zu überprüfen und unter anderem mit Blick auf Vollständigkeit und Auffälligkeiten auszuwerten. Nach spätestens einem Quartal wird ein neuer Untersuchungstermin angesetzt, bei dem u.a. überprüft wird, ob Anpassungen bei der Behandlung vorzunehmen sind.

Darüber hinaus wurde in der Praxis der Klägerin eine Applikation eingeführt, die über die mobilen Telefone der Patienten funktioniert. Der behandelnde Arzt teilt dem Patienten für einen bestimmten Zeitraum eine bestimmte Menge an Konzentraten zu, die im EDV-System der Praxis mit Nummern der einzelnen Ampullen der Konzentrate registriert wird. Der Patient führt in diesen Fällen kein schriftliches Tagebuch mehr, sondern scannt den Barcode auf der Ampulle durch sein Mobiltelefon ein. Die Praxis erhält über die vollzogene Verabre...

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