vorläufig nicht rechtskräftig
Revision zugelassen durch das FG
Entscheidungsstichwort (Thema)
Erstattung von Kapitalertragsteuer auf Ausschüttungen an in Japan ansässige Muttergesellschaft. - Revision eingelegt (Aktenzeichen des BFH: VIII R 21/22)
Leitsatz (redaktionell)
- Eine in Japan ansässige Mutterkapitalgesellschaft, die zu 100 % an einer inländischen GmbH beteiligt ist, hat ungeachtet der definitiven Wirkung des Quellensteuerabzugs aufgrund des Ausschlusses der Steueranrechnung in Japan keinen Anspruch auf die nachträgliche Erstattung der auf Ausschüttungen der GmbH einbehaltenen und abgeführten Kapitalertragsteuer in analoger Anwendung des § 50d Abs. 1 Satz 2 EStG, weil sie sich nicht auf die – durch die vorrangige Niederlassungsfreiheit verdrängte – unionsrechtliche Kapitalverkehrsfreiheit berufen kann.
- Für den Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit kommt es auch in der Konstellation der Zahlung einer Dividende aus einem Mitgliedstaat an eine in einem Drittstaat ansässige Kapitalgesellschaft auf die konkrete Beteiligungshöhe der Empfängerin und die daraus resultierende Möglichkeit der Einflussnahme auf die Entscheidungen der Tochtergesellschaft an.
- Die Kapitalverkehrsfreiheit wird auch dann durch die vorrangige Niederlassungsfreiheit verdrängt, wenn die Niederlassungsfreiheit aufgrund der Ansässigkeit eines Unternehmens in einem Drittstaat nicht anwendbar ist.
Normenkette
EStG § 43 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 50d Abs. 1 S. 2; KStG § 31 Abs. 1 S. 1, § 32 Abs. 1 Nr. 2; DBA Japan 1966 Art. 10 Abs. 2; AEUV Art. 49, 63
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Erstattung von Kapitalertragsteuer aufgrund einer möglichen Verletzung der europarechtlichen Kapitalverkehrsfreiheit streitig.
Die Klägerin - eine japanische Kapitalgesellschaft (...) - ist Alleingesellschafterin einer (...) GmbH (nachfolgend: GmbH) mit Sitz im Inland . Aufgrund der Gesellschafterbeschlüsse vom 8.5.2009, 9.4.2010 und vom 3.5.2011 nahm die (...) GmbH in den Jahren 2009 bis 2011 Ausschüttungen für die Wirtschaftsjahre 2008, 2009 und 2010 (Ende jeweils am 31.12.) an die Klägerin (...) vor. Wegen der ihr durch das Bundeszentralamt für Steuern (BZSt) nach § 50d Abs. 2 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes in der in den Jahren 2009 bis 2011 geltenden Fassung (EStG) erteilten Teilfreistellungsbescheinigung vom 7.7.2008 behielt die (...) GmbH deutsche Kapitalertragsteuer i.H.v. 15% auf diese Dividendenzahlungen (...) ein, meldete diese beim Finanzamt A-Stadt (nachfolgend: FA) an und führte die Beträge an dieses ab.
Mit Schreiben vom 20.12.2013 beantragte die Klägerin beim FA die Erstattung der abgeführten Kapitalertragsteuer unter Verweis auf eine Verletzung der Kapitalverkehrsfreiheit. Sie stützte diesen Antrag auf das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) Kommission ./. Deutschland vom 20.10.2011 C-284/09 (Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung (HFR) 2011, 1387).
Den Antrag lehnte das FA durch Bescheid vom 7.2.2018 ab. Eine Erstattung nach § 43b EStG oder § 32 Abs. 5 des Körperschaftsteuergesetzes in der in den Jahren 2009 bis 2011 geltenden Fassung (KStG) scheide aufgrund der Ansässigkeit der Klägerin in einem Drittstaat aus. Ein Verstoß gegen höherrangiges EU-Recht liege nicht vor. Das dagegen gerichtete Einspruchsverfahren blieb erfolglos (Einspruchsentscheidung vom 19.4.2018).
Am 23.5.2018 hat die Klägerin Klage gegen das FA erhoben. Nach Änderung der Zuständigkeitsregelung in § 5 Abs. 1 Nr. 2 des Gesetzes über die Finanzverwaltung (Finanzverwaltungsgesetz -FVG-) zum 9.6.2021 haben das FA und das BZSt mitgeteilt, dass nunmehr das BZSt Beklagter des Klageverfahrens sei.
Die Klägerin trägt vor, die einbehaltene Kapitalertragsteuer führe für sie zu einer Definitivbelastung. Eine Anrechnung der einbehaltenen Kapitalertragsteuer sei in Japan ab dem Jahr 2009 nicht mehr möglich. In Deutschland komme bei beschränkt steuerpflichtigen Kapitalgesellschaften § 8b Abs. 1 KStG nicht zur Anwendung, sondern die Körperschaftsteuer sei durch den Steuerabzug nach § 32 Abs. 1 Nr. 2 KStG abgegolten. Eine Minderung der Kapitalertragsteuer unter den nach Art. 10 Abs. 2 des Doppelbesteuerungsabkommens zwischen Deutschland und Japan in der Fassung vom 22.4.1966 (DBA Japan, gültig bis zum 27.10.2016) gültigen Quellensteuersatz von 15% sei daher nicht möglich; dies verstoße gegen die Kapitalverkehrsfreiheit. Daher sei ihr die Kapitalertragsteuer in entsprechender Anwendung des § 50d Abs. 1 Satz 1 EStG durch Erlass von Freistellungsbescheiden nach § 155 Abs. 1 Satz 3 der Abgabenordnung (AO) zu erstatten.
Die Kapitalverkehrsfreiheit werde vorliegend nicht durch die Niederlassungsfreiheit verdrängt. Dies sei nur bei nationalen Regelungen der Fall, die ausschließlich auf Beteiligungen anwendbar seien, die es ermöglichten, einen sicheren Einfluss auf die Entscheidungen einer Gesellschaft auszuüben. Nationale Regelungen, die einen solchen Einfluss nicht zwangsläufig voraussetzten, sondern z.B. auch Portfoliobeteiligungen erfassten, seien dagegen am Maßstab...