Entscheidungsstichwort (Thema)
Unverbindlichkeit von sog. Listenregeln der Europäischen Kommission zur Ursprungsbegründenden Be- oder Verarbeitung von Waren
Leitsatz (redaktionell)
- Für die Frage, ob eine ursprungsbegründende Be- oder Verarbeitung vorliegt, kann entgegen den Listenregeln der Europäischen Kommission zu Pos. 7312 KN nicht allein auf einen Positionswechsel abgestellt werden.
- Aus Litzen chinesischen Ursprungs in Ägypten hergestellte Stahlseile haben dennoch ihren Ursprung in China, wenn die weitere Be- bzw. Verarbeitung nur die Umgehung der Antidumpingbestimmungen der VO Nr. 1796/1999 bezweckt hat.
- Die Umgehungsabsicht kann nach Art. 25 ZK vermutet werden, wenn ein zeitlicher Zusammenhang zwischen dem Inkrafttreten dieser Regelung und der Verlagerung der Produktion aus China nach Ägypten besteht.
- Die Möglichkeit der Einleitung eines Verfahrens nach Art. 13 Abs. 3 VO Nr. 384/96 schließt eine Anwendung der allgemeinen Generalklausel des Art. 25 ZK nicht aus.
Normenkette
VO (EG) Nr. 1796/1999 Art. 1; VO (EG) Nr. 384/96 Art. 13 Abs. 3; ZK Art. 24-25, 220, 221 Abs. 1; ZK-DVO Art. 37 Unterabs. 2, Art. 38-39
Streitjahr(e)
1999, 2000, 2001, 2002, 2003, 2004, 2005
Nachgehend
Tatbestand
Die Klägerin meldete beim beklagten Hauptzollamt am 23. Januar, 20. Februar und 23. Mai 2002, am 15. August und 15. September 2003 sowie am 3. Februar 2004 Stahlseile der Unterpos. 7312 10 82, 7312 10 84 und 7312 10 99 der Kombinierten Nomenklatur (KN), die sie von der in Ägypten ansässigen A bezogen hatte, zur Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr an. Als Ursprung der Waren gab sie Ägypten an und legte entsprechende Warenverkehrsbescheinigungen EUR. 1 vor. Das beklagte Hauptzollamt sah deshalb von der Erhebung von Zoll ab.
Die Drahtseile wurden in dem Betrieb der A auf den dort vorhandenen Maschinen hergestellt, indem Litzen aus Stahl, welche von der in China ansässigen B geliefert worden waren, zusammengedreht wurden.
Im Mai 2003 wurde das Europäische Amt für Betrugsbekämpfung (OLAF) vom Zollkriminalamt (ZKA) über eine mutmaßliche Umgehung des mit der Verordnung (EG) Nr. 1796/1999 (VO Nr. 1796/1999) des Rates vom 12. August 1999 (ABl EG Nr. L 217/1) auf die Einfuhren von Stahldrahtseilen mit Ursprung in der Volksrepublik China eingeführten Antidumpingzolls durch die unzutreffende Angabe des Ursprungslandes Ägypten in Kenntnis gesetzt. Bedienstete des OLAF sowie der Zeuge X vom ZKA führten deshalb in dem Zeitraum vom 27. Juli bis zum 4. August 2004 eine Missionsreise in Ägypten durch, bei der auch der Betrieb der A aufgesucht wurde.
Ausweislich eines Inspektionsberichts vom 2. August 2004 soll der Direktor der A am 31. Juli 2004 erklärt haben, das Unternehmen sei im November 2000 gegründet worden und habe seinen Betrieb im Juli 2001 aufgenommen. Die A sei gegründet worden, weil ihre Kunden in der Europäischen Gemeinschaft Schwierigkeiten mit direkten Einfuhren von Stahldrahtseilen chinesischen Ursprungs gehabt hätten. Diese Schwierigkeiten seien wirtschaftlicher Art gewesen und hätten darauf beruht, dass im Jahr 1999 für chinesische Stahldrahtseile Antidumpingzölle eingeführt worden seien. Dieser Umstand habe die Muttergesellschaft der A, die C, ermuntert, Investitionen in Ägypten zu tätigen. Alle europäischen Kunden hätten langjährige Beziehungen zur B gehabt. Mit Ausnahme der griechischen Kunden hätten die anderen europäischen Kunden ihre Aufträge direkt der A erteilt. Alsdann habe er bei der B die entsprechenden Rohmaterialien bestellt. Deshalb lagere die A keine Rohmaterialien.
Bei einem Besuch der Gemeinschaftsdelegation am 2. August 2004 wurde dem Direktor der Entwurf einer schriftlichen Erklärung über seine im Verlaufe des vorangegangenen Besuchs gemachten Angaben vorgelegt. Hierzu soll er ausweislich eines Inspektionsberichts vom 3. August 2004 erklärt haben, die Gemeinschaftsdelegation habe die von ihm erteilten Auskünfte zutreffend verstanden, mit Ausnahme des Umstands, dass die B nicht die Muttergesellschaft der A, sondern die Lieferantin der Rohmaterialien sei. Der Direktor sei nicht bereit gewesen, den in englischer Sprache verfassten Entwurf zu unterzeichnen, weil seine Muttersprache Chinesisch sei und er zuvor die Zustimmung der Muttergesellschaft einholen müsse.
In seinem Bericht vom 17. Dezember 2004 über die Ergebnisse der Missionsreise führte das OLAF unter anderem aus: Die Comext-Einfuhrstatistiken hätten gezeigt, dass seit Einführung der Antidumpingzölle die Einfuhren von Stahldrahtseilen in die Gemeinschaft, bei denen ein ägyptischer Ursprung angegeben worden sei, von 0,6 t im Jahr 1999 auf 608,5 t im Jahr 2000, 1.466 t im Jahr 2001, 1.153 t im Jahr 2002 und 1.167 t im Jahr 2003 angestiegen seien. Die Stahldrahtseile seien bis zum Juli 2001 von der B und nach Juli 2001 von der A ausgeführt worden. Die A sei in Ägypten nicht als Herstellerfirma, sondern unter der Anschrift des D als Verkaufsbüro bzw. Repräsentanz registriert. Der Verband der e...