Entscheidungsstichwort (Thema)
Kindergeld wegen Unfähigkeit zum Selbstunterhalt bei Behinderung
Leitsatz (redaktionell)
- Ein behindertes Kind ist erst dann im Stande, sich selbst zu unterhalten, wenn es über eine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit verfügt, die zur Bestreitung seines gesamten notwendigen Lebensbedarfs ausreicht.
- Eine Mitursächlichkeit der Behinderung dafür, dass die Einkünfte und Bezüge nicht zur Bestreitung des erforderlichen Lebensbedarfes ausreichen, ist ausreichend.
- Die theoretische Möglichkeit einer Vermittelbarkeit des behinderten Kindes am allgemeinen Arbeitsmarkt ist nicht geeignet, die Ursächlichkeit der Behinderung für die im Ergebnis gleichwohl erfolglose Vermittlung bei allgemein ungünstiger Arbeitsmarktsituation zu beseitigen.
Normenkette
EStG § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 3
Streitjahr(e)
2001, 2002, 2003, 2004, 2005
Nachgehend
Tatbestand
Der Kläger ist der Vater der am 24. Februar 1974 geborenen Sarah. Seit dem Sommersemester 1997 war die Tochter des Klägers an der Universität L-Stadt eingeschrieben für das Lehramt Primarstufe mit den Fächern Deutsch, Mathematik und Textilgestaltung.
Im Dezember 1999 ging beim Beklagten eine Mitteilung des Klägers ein, wonach die Tochter in den Abendstudiengang Kommunikationswirtin einer Akademie für Kommunikation aufgenommen worden war. Das Studium sollte im November 1999 beginnen. Zugleich legte der Kläger einen Arbeitsvertrag zwischen seiner Tochter und der „P-Agentur GmbH” vor, der am 1. November 1999 beginnen und am 31. Oktober 2001 enden sollte.
Mit Bescheid vom 2. April 2001 hob der Beklagte die Festsetzung des Kindergeldes mit Wirkung vom 1. März 2001 auf. Zur Begründung führte er aus, die gesetzlichen Anspruchsvoraussetzungen seien nicht mehr erfüllt, weil das Kind mit Ablauf des 23. Februar 2001 das 27. Lebensjahr vollendet habe.
Mit Schreiben vom 30. August 2001 legte der Kläger dagegen Einspruch ein und machte geltend, dass in einem anhängigen Klageverfahren demnächst mit der Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft seiner Tochter zu rechnen sei.
Auf einen Hinweis des Beklagten, dass der Bescheid rechtskräftig geworden sei, beantragte der Kläger vorsorglich die Gewährung von Kindergeld rückwirkend bis zum Wirksamkeitszeitpunkt der letzten Aufhebung.
Unter dem 5. Juni 2002 teilte der Kläger mit, dass für die Tochter ausweislich des Schwerbehindertenausweises des Versorgungsamtes L-Stadt ein Grad der Behinderung von 80 % und das Merkzeichen „G” festgestellt worden seien. Der Ausweis ist gültig ab dem 21. Mai 1999.
Darüber hinaus legte der Kläger das röntgenologische Gutachten des Herrn Prof. Dr. B. vom 23. Januar 2001, das neurologisch-psychiatrisch Gutachten der Herrn Dr. med. K. vom 23. August 2000 und das Gutachten der Herren Dres. S, T. und J. vor, auf die Bezug genommen wird.
Außerdem gab der Kläger an, seine Tochter habe bis zum 31. Oktober 2001 eine monatliche Ausbildungs-/ Praktikumsvergütung in Höhe von monatlich 800,- DM brutto bezogen. Seit Beendigung dieses Beschäftigungsverhältnisses, mithin sei dem 1. November 2001 beziehe seine Tochter kein eigenes Einkommen mehr; sie lebe von Unterstützungshilfe aus der Familie.
Unter dem 25. November 2002 ging beim Beklagten ein Schreiben der Reha/SB-Stelle vom 22. November 2002 ein, wonach die Tochter des Klägers in der Lage sein soll, eine arbeitslosenversicherungspflichtige, mindestens 15 Stunden umfassende Beschäftigung unter den üblichen Bedingungen des in Betracht kommenden Arbeitsmarktes auszuüben.
Mit Bescheid vom 28. November 2002 lehnte der Beklagte daraufhin die Gewährung von Kindergeld für Sarah ab. Zur Begründung verwies er auf das Schreiben der Reha/SB-Stelle.
Dagegen legte der Kläger mit Schreiben vom 19. Dezember 2002 Einspruch ein.
Unter dem 25. August 2003 teilte die Bundesanstalt für Arbeit, Arbeitsamt L-Stadt mit, dass aufgrund des ärztlichen Gutachtens vom 20. August 2003 derzeit weiterhin Vermittelbarkeit der Tochter Sarah auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt bestehe. Frau D. stelle sich auch weiterhin zur Vermittlung in eine Arbeitsstelle bei der Vermittlung für Schwerbehinderte zur Verfügung und bewerbe sich regelmäßig. Somit bleibe die Entscheidung vom 22. November 2002 bestehen.
Dem beigefügt war ein ärztliches Gutachten vom 20. August 2003, auf das Bezug genommen wird. Danach sind Arbeiten unter Zeitdruck, Nässe, Kälte, Zugluft, Temperaturschwankungen, Hitzearbeiten, Zwangshaltungen, häufiges Heben und Tragen ohne mechanische Hilfsmittel für die Tochter des Klägers auszuschließen. In der Rubrik „ergänzendes Leistungsbild” finden sich die Eintragungen: keine Tätigkeiten mit besonderen Stressbelastungen. Keine Tätigkeiten mit erhöhter Anforderung an die soziale oder emotionale Kompetenz. Keine anhaltenden Zwangshaltungen der Wirbelsäule. Keine hohen Anforderungen an die Fingerfertigkeit.
Weiter heißt es in dem Gutachten, im Vordergrund stehe eine seelische Minderbelas...