rechtskräftig

 

Entscheidungsstichwort (Thema)

Progressionsvorbehalt bei zeitweise unbeschränkter Steuerpflicht eines britischen Staatsbürgers verfassungsrechtlich unbedenklich

 

Leitsatz (redaktionell)

  1. Einkünfte eines britischen Staatsbürgers, die er nach Beendigung seines Aufenthalts im Inland im gleichen Veranlagungszeitraum im Heimatland erzielt, unterliegen auch dann dem Progressionsvorbehalt, wenn nach Wegfall seiner unbeschränkten Steuerpflicht keine im Inland zu besteuernden Einkünfte mehr anfallen.
  2. Die innerstaatliche Regelung des Progressionsvorbehalts ist unabhängig davon anzuwenden, ob das DBA-Großbritannien der Bundesrepublik Deutschland als Ansässigkeitsstaat ein solches Besteuerungsrecht ausdrücklich einräumt.
  3. Die Anwendung des Progressionsvorbehalts bei zeitweise unbeschränkter Steuerpflicht unterliegt keinen verfassungs- oder völkerrechtlichen Bedenken und verstößt weder gegen die gemeinschaftsrechtliche Grundfreiheit der Arbeitnehmerfreizügigkeit noch gegen das Diskriminierungsverbot des DBA-Großbritannien.
 

Normenkette

EStG § 1 Abs. 1, 4, § 2 Abs. 7 S. 3, § 32b Abs. 1 Nrn. 2-3, § 34d Nr. 5, § 49 Abs. 1, § 50 Abs. 5 S. 4 Nr. 2; BVerfGG § 31; AO § 176; DBA-Großbritannien Art. 2 Abs. 1 Buchst. h Unterabsatz i, Art. 11 Abs. 2 S. 2, Abs. 3, Art. 18 Abs. 2 Buchst. a S. 2, Art. 20 Abs. 1; GG Art. 3 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3; EGV Art. 39

 

Tatbestand

Der Kläger ist britischer Staatsangehöriger und hatte für die erste Hälfte des Streitjahres (1999) seinen Wohnsitz im Inland. Er war bei einer deutschen Arbeitgeberin mit einer Nettolohnvereinbarung beschäftigt und erzielte in diesem Zeitraum Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit in Höhe von 194.192 DM (202.843,50 DM Bruttoarbeitslohn ./. 8.651,06 DM Erstattung von Einkommensteuer und Solidaritätszuschlag 1998 lt. Bescheid vom 29.11.1999). Zum 01.07.1999 kehrte er nach Großbritannien zurück und erzielte in der zweiten Hälfte des Jahres 1999 ausländische Einkünfte in Höhe von 129.310 DM.

Seine Ehefrau hatte sich nach der Auskunft aus dem Melderegister bereits zum 18.12.1998 nach Nordirland abgemeldet. Für die beiden Kinder, geboren am 06.07.1992 und 26.07.1994, ist in der Steuererklärung 1999 für das ganze Jahr ein Aufenthalt im Ausland angegeben.

Im Einkommensteuerbescheid 1999 vom 14.08.2001 bezog der Beklagte nur die inländischen Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit in die Bemessungsgrundlage für die Einkommensteuer ein und gewährte Kinderfreibeträge für das ganze Jahr, berücksichtigte aber keine kindergeldähnlichen Leistungen in Großbritannien. Unterhaltsaufwendungen für die Ehefrau wurden mit 6.510 DM als außergewöhnliche Belastung nach § 33a Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes - EStG - berücksichtigt. Die Steuer wurde nach der Grundtabelle berechnet. Abweichend von der Rechtsauffassung des Klägers wandte der Beklagte aber den besonderen Steuersatz nach § 32b Abs. 1 Nr. 2 EStG an und berücksichtigte für die Ermittlung dieses Steuersatzes auch die ausländischen Einkünfte.

Mit dem Einspruch vom 23.08.2001 wandte sich der Kläger gegen die Steuerfestsetzung. Entsprechend seinem Antrag ruhte das Rechtsbehelfsverfahren im Hinblick auf Revisionsverfahren zur Rechtsfrage der Zulässigkeit einer wortlautgetreuen Auslegung des § 32b Abs. 1 Nr. 2 EStG. Nach Ergehen der Urteile des Bundesfinanzhofes - BFH - vom 19. Dezember 2001 (I R 63/00, Internationales Steuerrecht - IStR - 2002, 239) und vom 15. Mai 2002 (I R 40/01, IStR 2002, 635) stellte der Beklagte den Klägern anheim, den Rechtsbehelf zurückzunehmen oder anderweitig zu begründen. Der Kläger machte im Schriftsatz vom 12.11.2002 geltend, die Entscheidung des BFH (I R 63/00 vom 19. Dezember 2001) beruhe auf einer Änderung der Rechtsprechung zu einer anderen Vorschrift, nämlich zu § 32b Abs. 1 Nr. 3 EStG. Danach habe entgegen der bisherigen Auffassung der Progressionsvorbehalt auf DBA-befreite Einkünfte nicht konstitutiven, sondern nur deklaratorischen Charakter. Er sei insbesondere nicht davon abhängig, dass Deutschland Ansässigkeitsstaat sei.

Erst unter Zugrundelegung dieser geänderten Rechtsauffassung zu einer anderen Vorschrift komme der BFH zu dem Ergebnis, das dann auch § 32b Abs. 1 Nr. 2 EStG nicht mehr gegen DBA-Recht verstoße, weil es den Progressionsvorbehalt für nicht Ansässige nicht verbiete. Wenn aber alle DBA-befreiten Einkünfte dem Progressionsvorbehalt unterlägen, unabhängig von der Ansässigkeit in Deutschland, seien unter Nr. 2 der Vorschrift fallende Steuerpflichtige zukünftig auch nicht mehr schlechter gestellt als unter Nr. 3 der Vorschrift fallende Steuerpflichtige.

Der BFH übersehe jedoch, dass es erst der Änderung seiner eigenen Rechtsprechung zu § 32b Abs. 1 Nr. 3 EStG bedurfte, um Nr. 2 der Vorschrift in Einklang zu bringen mit DBA-Recht und dem Gleichheitsgrundsatz. Die Änderung der Rechtsprechung zu § 32b Abs. 1 Nr. 3 EStG beseitige jedoch den Verstoß der Nr. 2 der Vorschrift gegen den Gleichheitsgrundsatz und DBA-Recht nicht rückwirkend. Durch Änderung der Rechtsprechung stelle der BFH somit...

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