Entscheidungsstichwort (Thema)
Ermessensausübung beim Erlass von bis zur Konkurseröffnung verwirkten Säumniszuschlägen
Leitsatz (redaktionell)
Im Falle der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung ist auch dann regelmäßig nur der hälftige Erlass der Säumniszuschläge aus sachlichen Billigkeitsgründen geboten, wenn die zugrundeliegende Steuerfestsetzung nachträglich aufgehoben worden ist. Anderes kann nur gelten, wenn die Aussetzung der Vollziehung zu Unrecht versagt wurde oder ein hierauf zielender Antrag dem Steuerpflichtigen nicht möglich war.
Normenkette
AO §§ 227, 240 Abs. 1 S. 4
Streitjahr(e)
1989, 1990, 1991, 1992, 1993, 1994
Nachgehend
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um den vollständigen Erlass der bis zur Eröffnung des Konkursverfahrens verwirkten Säumniszuschläge, die der Beklagte - das Finanzamt - bisher zur Hälfte erlassen hat. Der Kläger ist Konkursverwalter in dem Konkursverfahren über das Vermögen der…GmbH (Gemeinschuldnerin).
Das Finanzamt erließ für die Jahre 1988 bis 1992 Umsatzsteuerbescheide, gegen die zunächst die Gemeinschuldnerin Einspruch und nach der Eröffnung des Konkursverfahrens der Kläger Klage erhoben. Anträge auf Aussetzung der Vollziehung wurden nicht gestellt. Streitig war insofern, ob die Gemeinschuldnerin steuerbare und steuerpflichtige Leistungen erbracht hatte.
Das Konkursverfahren über das Vermögen der Gemeinschuldnerin wurde mit Beschluss des Amtsgerichts…vom 20. Juni 1995 eröffnet. Das Finanzamt meldete u.a. die Umsatzsteuerforderungen für die Veranlagungszeiträume 1989 bis 1994 zur Tabelle an, gegen die der Kläger Widerspruch erhob, und stellte diese mit Bescheid vom 27. Februar 1996 fest. Mit Verfügung vom 6. Oktober 2000 hob das Finanzamt die Umsatzsteuerbescheide für die Jahre 1988 bis 1992 ebenso wie den Feststellungsbescheid vom 27. Februar 1996 ersatzlos auf.
Der Kläger beantragte daraufhin den Erlass der Säumniszuschläge. Das Finanzamt erließ mit Bescheid vom 14. März 2001 die bis dahin verwirkten Säumniszuschläge zur Umsatzsteuer 1989 bis 1994 und zur Lohnsteuer für die Monate Oktober und November 1994 in Höhe von insgesamt 40.018 DM zur Hälfte und lehnte den weiter gehenden Erlass ab. Zur Begründung führte das Finanzamt aus: Selbst wenn im Streitfall die rechtzeitige Zahlung wegen Zahlungsunfähigkeit unmöglich gewesen wäre, so käme regelmäßig nur ein Erlass in Höhe der Hälfte der verwirkten Säumniszuschläge in Betracht.
Gegen die Ablehnung des weiter gehenden Erlasses legte der Kläger Einspruch ein. Er vertrat die Ansicht, dass die Säumniszuschläge vollumfänglich zu erlassen seien. Das Finanzamt wies den Einspruch als unbegründet zurück. Es führte aus: Im Streitfall komme allein ein Erlass aus sachlichen Billigkeitsgründen in Betracht. Die Säumniszuschläge könnten nicht vollumfänglich erlassen werden. Nach § 240 Abs. 1 S. 4 der Abgabenordnung (AO) habe die spätere Aufhebung einer Steuerfestsetzung auf die bereits verwirkten Säumniszuschläge keine Auswirkung. Säumniszuschläge stellten danach eine Art Zwangsgeld zur Durchsetzung fälliger Steuerforderungen dar. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen diese Regelungen bestünden nicht, weil der Steuerpflichtige durch die Wahrnehmung des vorläufigen Rechtsschutzes die ihn belastenden Folgen abwehren könne. Der Steuerpflichtige könne einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung stellen, um die Verwirkung von Säumniszuschlägen zu vermeiden. Der Kläger bzw. die Gemeinschuldnerin hätten sich nicht um eine Vollziehungsaussetzung bemüht.
Mit seiner Klage begehrt der Kläger den vollständigen Erlass der bis zur Eröffnung des Konkursverfahrens verwirkten Säumniszuschläge. Er wehrt sich gegen den Vorwurf, sich nicht um die Aussetzung der Vollziehung bemüht zu haben. Im Hinblick auf Konkursforderungen könne die Vollziehung gar nicht ausgesetzt werden, weil Steuerforderungen während des Konkursverfahrens nicht vollstreckt werden könnten. Im Übrigen hält der Kläger einen vollständigen Erlass auch deshalb für geboten, weil die Steuerbescheide unwirksam bzw. die Steuern zu Unrecht festgesetzt worden seien. Nicht bestehende Ansprüche des Finanzamts zu verzinsen wäre unlogisch, liefe dem Gesetzeszweck zuwider und lasse sich keinem Steuerpflichtigen vermitteln. Für Säumniszuschläge könne im Hinblick auf die Akzessorietät zur Hauptschuld nichts anderes als für Zinsen (§ 233 a Abs. 5 AO) gelten. Soweit durch Säumniszuschläge ein Zinsnachteil des Fiskus ausgeglichen werden solle, müsse § 240 AO auch wie eine Zinsvorschrift behandelt werden.
Die Ansicht, dass bei Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung die Säumniszuschläge nur zur Hälfte zu erlassen seien, sei verfassungsrechtlich bedenklich. Ein hälftiger Erlass der Säumniszuschläge unter Hinweis auf den Zinscharakter der Säumniszuschläge ändere nichts daran, dass die Erhebung von Säumniszuschlägen bei Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung gegen das Übermaßverbot verstoße. Die Aufrechterhaltung der hälftigen Säumniszuschläge würde einen Zinstatbes...