Entscheidungsstichwort (Thema)
Kindergeldanspruch bei Schulbesuch in der Türkei: Wohnsitz im Inland bei Rückkehr in den Schulferien – Treuwidrige Rückforderung bei konkludenter Zusage – Fehlende Entscheidungsbefugnis der Mitarbeiter der Antragsannahmestelle
Leitsatz (redaktionell)
- Hält sich ein für vier bis sechs Jahre zum Schulbesuch in der Türkei bei dort lebenden Verwandten untergebrachtes Kind lediglich in den Schulferien in der inländischen Wohnung der Eltern auf, wird hierdurch ein Wohnsitz grundsätzlich nicht begründet oder beibehalten.
- Der Kindergeldempfänger kann sich gegenüber dem Rückforderungsanspruch der Familienkasse nur auf den Grundsatz von Treu und Glauben berufen, wenn dem Verhalten einer zur abschließenden Entscheidung über die Kindergeldfestsetzung berufenen Person die konkludente Zusage zu entnehmen ist, dass die Familienkasse auch nach Prüfung des Falls unter Berücksichtigung veränderter Umstände von einem Fortbestehen des Kindergeldanspruchs ausgeht und ein anderer Eindruck bei dem Kindergeldempfänger nicht entstehen kann.
- Aus Äußerungen von Mitarbeitern der Antragsannahmestelle kann regelmäßig kein Vertrauensschutz nicht ableitet werden.
Normenkette
EStG § 62 Abs. 1 Nr. 1, § 63 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, S. 3, § 70 Abs. 2; AO §§ 8-9, 37 Abs. 2 S. 1
Tatbestand
Der Kläger ist der Vater des ….1995 geborenen Kindes A und erhielt für diesen seit dessen Geburt Kindergeld. Darüber hinaus ist der Kläger auch der Vater der Kinder B, C und D, für die ursprünglich ebenfalls zu seinen Gunsten Kindergeld festgesetzt war.
Der Kläger ist mit der Kindesmutter, Frau E, verheiratet und wohnt mit dieser zusammen in … F-Stadt. Im Januar 2010 stellte die Kindesmutter einen eigenen Antrag auf Kindergeld für die o.g. vier Kinder.
Die Familienkasse (Beklagte) gab dem Antrag der Kindesmutter beginnend mit März 2010 statt. Zudem hob sie unter Hinweis darauf, dass die Kindesmutter gemäß § 64 Abs. 2 S. 2 EStG zur vorrangig Kindergeldberechtigten bestimmt worden sei, die Kindergeldfestsetzung für alle vier Kinder ab März 2010 gegenüber dem Kläger auf.
Im September 2013 beantragte die Kindesmutter die Fortzahlung von Kindergeld für das Kind A über dessen 18. Lebensjahr hinaus. Dabei gab sie an, dass A bei den Großeltern in der Türkei wohne und dort zur Schule gehe. Auf Nachfrage der Familienkasse teilte sie ergänzend mit, dass sich A seit Sommer 2008 bis voraussichtlich 2015 in der Türkei aufhalten werde. Ihr Ehemann – der Kläger – sei dort die meiste Zeit bei ihm. Ihr Sohn komme einmal pro Jahr in den Sommerferien nach Deutschland zurück und halte sich hier dann drei Monate auf.
Mit Bescheid vom 05.05.2014 hob die Beklagte die Kindergeldfestsetzung für das Kind A gegenüber dem Kläger unter Verweis auf § 70 Abs. 2 EStG ab August 2010 auf und forderte das für den Zeitraum August 2008 bis Februar 2010 gezahlte Kindergeld i.H.v. 3.700 € von dem Kläger zurück. Zudem erließ die Beklagte betreffend den Zeitraum ab März 2010 einen Rückforderungsbescheid gegenüber der Kindesmutter; diesbezüglich ist unter dem Aktenzeichen 10 K 3174/14 Kg,AO eine Klage der Kindesmutter anhängig.
Der Kläger legte gegen den an ihn gerichteten Bescheid Einspruch ein und erhob unter anderem die Einrede der Verjährung. Eine Aufhebung komme aus Verjährungsgründen allenfalls ab Januar 2010 in Betracht. Aber auch ab diesem Zeitpunkt könne keine Rückforderung erfolgen, da Vertrauensschutzgesichtspunkte greifen würden. Denn die Antragsgegnerin habe das Kindergeld weitergezahlt, obwohl ihr schon seit dem Jahr 2008 positiv bekannt gewesen sei, dass der Sohn A in der Türkei zur Schule gehe. Als der Schulwechsel im Jahr 2008 angestanden habe, habe er - der Kläger - gemeinsam mit seiner Ehefrau sämtliche Stellen aufgesucht und dort Mitteilung macht. Da die Familie Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts erhalten habe, hätten sie unter anderem bei der ARGE F-Stadt vorgesprochen und mitgeteilt, dass A nicht mehr in die Bedarfsgemeinschaft falle. Der dortige Sachbearbeiter habe darauf hingewiesen, dass dies auch der Kindergeldstelle mitgeteilt werden müsse, weshalb sich die Eheleute einige Tage später - noch im September 2008 - gemeinsam zur Familienkasse begeben hätten. Auch dort hätten sie mitgeteilt, dass A ab September 2008 in der Türkei zur Schule gehe. Eine schriftliche Empfangsbestätigung für diese Mitteilung hätten sie nicht erhalten, jedoch seien beide Eheleute bei dem Gespräch anwesend gewesen. Der Sachbearbeiter bei der Familienkasse habe erklärt, dass Kindergeld so lange weiter gewährt werde, wie ein Elternteil auf Steuerkarte arbeite und A in Deutschland gemeldet sei. Da beides der Fall gewesen sei und auch heute noch sei, sei er - der Kläger - davon ausgegangen, seine Pflicht gegenüber der Familienkasse erfüllt und das Kindergeld auch zu Recht bezogen zu haben. Er habe auf die Aussagen des Mitarbeiters der Familienkasse vertraut.
Das Gleiche gelte auch für seine Ehefrau. Dass diese gutgläubig gewesen sei, zeige sich schon daran, dass sie anlässlich...