vorläufig nicht rechtskräftig
Revision zugelassen durch das FG
Entscheidungsstichwort (Thema)
Doppelte Haushaltsführung: Wohnen „am Beschäftigungsort” bei Entfernung von 141 km – Wegverlegung des Arbeitgebersitzes vom Ort der Zweitwohnung
Leitsatz (redaktionell)
- Eine Wohnung „am Beschäftigungsort” als Voraussetzung der Anerkennung der Kosten einer doppelten Haushaltsführung kann auch vorliegen, wenn die Zweitwohnung sich in einer Entfernung von 141 km zur Arbeitsstätte in einer im Umland liegenden anderen Großstadt befindet, von der der Beschäftigungsort verkehrsgünstig zu erreichen ist (1 Stunde mit dem ICE).
- Im Rahmen der gebotenen weiten Auslegung des Tatbestandsmerkmals „Wohnen am Beschäftigungsort” kommt es darauf an, ob Arbeitnehmer derartige Wegstrecken üblicherweise täglich zurücklegen bzw. ob ihnen ein tägliches Aufsuchen der Arbeitsstätte möglich ist.
- Bei der Abwägung der Gesamtumstände ist auch zu berücksichtigen, dass der Arbeitgeber seinen Firmensitz vom Ort der Zweitwohnung wegverlegt hat.
Normenkette
EStG § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 5 S. 2
Streitjahr(e)
2008
Nachgehend
Tatbestand
Streitig ist die Auslegung des Tatbestandsmerkmals „am Beschäftigungsort” im Sinne des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes – EStG –.
Die Kläger werden als Eheleute zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Schon vor ihrer Heirat im Jahr 2007 haben sie einen gemeinsamen Hausstand in S-Stadt begründet. Sie erzielen Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Die Klägerin arbeitet als kaufmännische Angestellte in A-Stadt. Ihr Arbeitgeber hat seinen Firmensitz zum 1. Januar 2007 von B-Stadt nach A-Stadt verlegt. Die Klägerin ist seit dem Jahr 2000 Eigentümerin einer 78,40 qm großen Wohnung in B-Stadt, die sie unter der Woche als Zweitwohnsitz benutzt. Die Entfernung zwischen der Wohnung der Klägerin in B-Stadt und ihrer Arbeitsstätte in A-Stadt beträgt 141 km. Die Wochenenden verbringen die Kläger regelmäßig gemeinsam in S-Stadt.
In ihrer Einkommensteuererklärung für das Jahr 2008 machten die Kläger Aufwendungen für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte i. H. v. 7.656,30 EUR (181 Fahrten mit öffentlichen Verkehrsmitteln à 141 km zu 0,30 EUR/km) sowie 13.487 EUR Mehraufwendungen für doppelte Haushaltsführung als Werbungskosten der Klägerin geltend. Letztere setzten sich wie folgt zusammen:
Fahrtkosten |
46 x 267 km x 0,30 EUR/km |
3.685 EUR |
Unterkunftskosten: Schuldzinsen Strom Laufende Betriebs-/Nebenkosten AfA (geschätzt) Reparaturen |
5.046 EUR 404 EUR 2.149 EUR 2.000 EUR 203 EUR |
9.802 EUR |
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13.487 EUR |
Im Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2008 vom 7. September 2009 berücksichtigte der Beklagte die Aufwendungen für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte mit dem Höchstbetrag von 4.500 EUR, nicht jedoch die Mehraufwendungen für doppelte Haushaltsführung. Dagegen legten die Kläger rechtzeitig Einspruch ein. Mit Einspruchsentscheidung vom 11. November 2010 wies der Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück. Zur Begründung führte er aus, die Aufwendungen für doppelte Haushaltsführung könnten nicht berücksichtigt werden, da sich der Zweithausstand der Klägerin nicht am Beschäftigungsort befinde. Beschäftigungsort im Sinne des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 2 EStG sei die politische Gemeinde bzw. deren nähere Umgebung (Umkreis von 20 bis 25 km), in der sich die Arbeitsstätte des Arbeitnehmers befinde. Bei einer Entfernung von 62 km könne auch bei einer großzügigen Auslegung des Begriffs „am Beschäftigungsort” nicht mehr davon ausgegangen werden, dass sich die Zweitwohnung in der Nähe des Beschäftigungsorts befinde (Beschluss des Bundesfinanzhofs – BFH – vom 2. Oktober 2008 VI B 33/08, juris). Die Klägerin wohne 141 km vom Beschäftigungsort entfernt, so dass eine doppelte Haushaltsführung allein aus diesem Grund zu verneinen sei.
Die Kläger haben am 14. Dezember 2010 Klage erhoben, mit der sie zunächst die Berücksichtigung von Mehraufwendungen wegen doppelter Haushaltsführung i. H. v. 12.687 EUR verfolgten. Die Aufwendungen setzten sich aus Kosten für Familienheimfahrten i. H. v. 3.685 EUR und Kosten der Unterkunft i. H. v. 9.002 EUR zusammen; als Absetzung für Abnutzung wurde – ausgehend von Anschaffungskosten i. H. v. 100.000 EUR – nur noch ein Betrag von 1.200 EUR geltend gemacht. In der mündlichen Verhandlung am 13. Oktober 2011 haben sie ihr Begehren auf einen Betrag von 10.575 EUR eingeschränkt. Zur Begründung führen die Kläger aus, dass sich die Klägerin im Hinblick auf die schwierige Arbeitsmarktlage in B-Stadt und fehlende Alternativen für die Weiterarbeit in A-Stadt entschieden habe, als ihr Arbeitgeber seinen Betrieb von B-Stadt nach A-Stadt verlegt habe. Sie sei aber in ihrer Eigentumswohnung in B-Stadt wohnen geblieben. Dies sei günstiger gewesen, als sich in A-Stadt eine neue Wohnung zu suchen. Dabei habe auch die schnelle und komfortable Zugverbindung zwischen B-Stadt und A-Stadt eine Rolle gespielt.
Der Begriff des Beschäftigungsorts im Sinne von § 9 ...