Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorliegen von polnischen Rechtsvorschriften über soziale Sicherheit bei einem innerhalb der Gemeinschaft zugewanderten Arbeitnehmer als sog. reiner Inlandssachverhalt

 

Leitsatz (redaktionell)

  1. Ein für weniger als 12 Monate von seinem polnischen Arbeitgeber in das Inland entsandter polnischer Staatsbürger, der ausschließlich in Polen sozialversicherungspflichtig ist, unterliegt gemäß Art. 14 Nr. 1 Buchstabe a VO (EWG) 1408/71 den Rechtsvorschriften Polens über soziale Sicherheit und damit nach Art. 4 Abs. 1 Buchstabe h VO (EWG) 1408/71 auch den polnischen Vorschriften über das Kindergeld.
  2. Deutsches Kindergeldrecht ist mangels eines Anwendungsbefehls zugunsten des nationalen Rechts in §§ 62 ff. EStG auch nicht subsidiär anwendbar, wenn nach der VO (EWG) 1408/71 das Recht eines anderen Mitgliedstaats anwendbar ist.
 

Normenkette

EStG § 62; VO 1408/71/EWG Art. 1 Buchst. a, Art. 2 Abs. 1, Art. 4 Abs. 1 Buchst. h, Art. 13 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 Buchst. a; VO (EWG) 1408/71 Art. 14 Nr. 1 Buchst. a; VO 1408/71/EWG Anhang I Teil I E

 

Streitjahr(e)

2005, 2006

 

Nachgehend

BFH (Beschluss vom 14.02.2013; Aktenzeichen III R 18/09)

 

Tatbestand

Strittig ist, ob der Kläger für seine Kinder „A” (geboren: 29.05.1988) und „B” (geboren: 02.12.1991) Anspruch auf Kindergeld hat.

Der Kläger ist polnischer Staatsangehöriger. Er wohnt zusammen mit seiner Ehefrau und den beiden Töchtern in Polen.

Vom 18.08.2005 bis 05.10.2005 und vom 12.01.2006 bis 09.06.2006 war er für die in Warschau ansässige „C” die in „D"- Stadt, ein „technisches Büro” unterhielt, in Deutschland als Arbeitnehmer tätig.

Nach der von der „C” unter dem 26.10.2007 ausgestellten Bescheinigung bestand für den Kläger kein Versicherungsverhältnis zur „Bundesanstalt für Arbeit..., weil es sich um eine Entsendung aus Polen handelte”.

Laut den Lohnsteuerbescheinigungen der „C” bezog der Kläger folgende Bruttoarbeitslöhne:

2005:

3.532,24 Euro

2006:

9.491,48 Euro

Davon wurden lediglich Lohnsteuer und Solidaritätszuschlag einbehalten, nicht jedoch Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung.

Die Lohnsteuer und der Solidaritätsbeitrag wurden an das Finanzamt „E” abgeführt. Dort wurde der Kläger zur Einkommensteuer veranlagt.

Unter dem 19.09.2007 beantragte der Kläger Kindergeld. Er gab an, dass seine Ehefrau in den Jahren 2005 und 2006 für die beiden Töchter in Polen Kindergeld in Höhe von jeweils 50 PLN monatlich von der Gemeindeverwaltung seines Wohnortes „F” erhalten habe; in Deutschland habe für seine Erwerbstätigkeit keine Sozialversicherungspflicht bestanden. Als Inhaber des Kontos, auf das das Kindergeld überwiesen werden sollte, benannte er Herrn „G” der zusammen mit Herrn „H” unter der Firma „I” geschäftsmäßig Anträge auf Kindergeld für polnische Arbeitnehmer stellte.

Der Kläger legte eine Bescheinigung der Technischen Schule in „J"/Polen vom 09.10.2007 vor, wonach seine Tochter „A” von 2004 bis 2007 die „Profilierte Oberschule” besucht hatte.

Mit Bescheid vom 15.02.2008 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers ab, da er als nach Deutschland entsandter Arbeitnehmer keinen Anspruch auf Kindergeld besitze.

Hiergegen legte der Kläger mit Schreiben vom 06.03.2008 Einspruch ein und wies darauf hin, dass er unbeschränkt einkommensteuerpflichtig gewesen sei und daher die Anspruchsvoraussetzungen des § 62 EStG erfülle.

In der Einspruchsentscheidung vom 20.03.2008 wies die Beklagte den Einspruch des Klägers als unbegründet zurück, weil er entsandter Arbeitnehmer eines polnischen Arbeitsgebers gewesen sei und ausschließlich der polnischen Sozialversicherung unterlegen habe.

Am 21.04.2008 hat der Kläger Klage erhoben und Folgendes vorgetragen: Ob ihm ein Anspruch auf Kindergeld zustehe, richte sich allein nach den in den §§ 62 ff. EStG getroffenen Regelungen und nicht nach der VO (EWG) 1408/71 oder der VO (EWG) 574/72 des Rates über die Durchführung der Verordnung (EWG) 1408/71 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie ihrer Familienangehörigen, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern vom 21. März 1972.

Die Annahme der Beklagten, er habe in Deutschland nicht der Sozialversicherung unterlegen, sei zutreffend. Er sei entsandter Arbeitnehmer gewesen. Allerdings bestünden an der arbeitsrechtlichen Bindung zu seinem polnischen Arbeitgeber Zweifel, weil Teile seines Lohnes indirekt vom deutschen „Arbeitgeber” gezahlt worden seien. Er sei in Deutschland in Unterkünften untergebracht gewesen, die von seinem deutschen „Arbeitgeber” gestellt bzw. angemietet worden seien. Die Aufwendungen des deutschen „Arbeitgebers” hierfür seien durch eine Kürzung des vom polnischen Arbeitgeber ausgezahlten Lohnes berücksichtigt worden. Sämtliche Anweisungen für seine Tätigkeit seien allein durch Führungskräfte des deutschen „Arbeitgebers” erfolgt. Sein (formaler) polnischer Arbeitgeber habe keine auf das Direktionsrecht gestützte arbeitsrechtliche Kontrolle ausgeübt.

Unabhängig davon, ob Beschäftigungsland im Streitfall Deut...

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