rechtskräftig

 

Entscheidungsstichwort (Thema)

Keine höhere Gewalt und keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei unnachweisbar verloren gegangener Post des Klägers an seinen Bevollmächtigten

 

Leitsatz (redaktionell)

  1. Wird eine schriftliche Vollmacht des im Haftungsverfahren bereits aufgetretenen Bevollmächtigten nicht vorgelegt, kann die Finanzbehörde einen Haftungsbescheid dem Adressaten persönlich bekannt geben. Dies ist ermessensfehlerfrei.
  2. Es kann einen Fall höherer Gewalt darstellen, wenn ein in Abwesenheit des Adressaten zugestellter Haftungsbescheid durch einen Haushaltsangehörigen – der allgemein erteilten Weisung entsprechend – ungeöffnet und mittels einfachen Briefs weitergeleitet wird und dabei auf dem Postwege verloren geht. Dies kann die Wiedereinsetzung in die versäumte Einspruchsfrist rechtfertigten.
  3. Der Adressat hat im Rahmen seiner Sorgfaltspflicht den beauftragten Haushaltsangehörigen vor seiner Abwesenheit zu instruieren, Schreiben so sicher und nachvollziehbar weiterzuleiten, wie es sich aus der Art ihrer Bekanntgabe und Bedeutung ergibt.
 

Normenkette

AO § 110 Abs. 1, 3, § 122 Abs. 5 Satz 2, § 355; VwZG § 3 Abs. 3, § 8 Abs. 1 Satz 1; ZPO § 178 Abs.1 Nr.1

 

Streitjahr(e)

2004, 2005

 

Tatbestand

Es ist streitig, ob dem Kläger gemäß § 110 der Abgabenordnung – AO – Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren ist und ob die Voraussetzungen für den Erlass des angegriffenen Haftungsbescheids vorliegen.

Der Kläger war vom 8.2.2001 bis zum 21.5.2003 unter anderem alleinvertretungsberechtigter – AG –. Die AG wurde bei dem Beklagten, dem Finanzamt „A”, steuerlich geführt, der Kläger dagegen beim Finanzamt „B”. Nachdem die AG in Insolvenz geraten war, bat der Beklagte den Kläger im Rahmen einer Haftungsanfrage um Stellungnahme zu diversen Punkten. Da eine Reaktion des Klägers ausblieb, erließ der Beklagte im Dezember 2003 erstmalig einen Haftungsbescheid betreffend Umsatzsteuerrückstände nebst angefallener Säumniszuschläge der AG in Höhe von rund 93.000,- €. Gleichzeitig übersandte der Beklagte an das Finanzamt „B” eine Ausfertigung des Haftungsbescheids mit Bitte um Kenntnisnahme und Anweisung einer Erstattungsverhinderung im Konto des Klägers nebst Pfändungsvermerks.

Nachdem der Kläger Anfang Februar 2004 eine Vollstreckungsankündigung des Beklagten erhalten hatte, stellte der Bevollmächtigte des Klägers umgehend einen Antrag auf einstweilige Einstellung der Vollstreckung beim Beklagten. Eine schriftliche Vollmacht für den Bevollmächtigten liegt dem Beklagten bis heute nicht vor.

Zur Begründung seines Antrags führte der Bevollmächtigte aus, die Vollstreckungsankündigung sei nicht verständlich. Gegen den Kläger seien entsprechende Steuerfestsetzungen mit Zahlungsaufforderungen nicht ergangen.

Der Beklagte unterrichtete hierüber die Erhebungsstelle und gab daraufhin, ohne den Bevollmächtigten im Hinblick auf den Antrag auf einstweilige Einstellung zu informieren, mit Datum vom 18.2.2004 den an den Kläger adressierten Haftungsbescheid mittels Postzustellungsurkunde erneut zur Post auf. Ausweislich der Postzustellungsurkunde wurde der an den Kläger adressierte Haftungsbescheid am 20.02.2004 in der Wohnung des Klägers an dessen Tochter, Frau „C”, als erwachsene Familienangehörige übergeben, weil der Postbedienstete den Adressaten in der Wohnung nicht antraf. Eine Bescheidung des Antrags auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung blieb aus, Vollstreckungsmaßnahmen wurden nicht durchgeführt.

In der Folgezeit führte das Finanzamt „B” für das Jahr 2003 eine Zusammenveranlagung der Eheleute zur Einkommensteuer durch, welche zu einem Erstattungsanspruch führte. Das Erstattungsguthaben buchte das Finanzamt „B” auf die Haftungsschuld des Klägers bei dem Beklagten um und teilte den Eheleuten mit Schreiben vom 29.06.2005 mit, die Umbuchung sei aufgrund des Haftungsbescheids des Beklagten vom 18.02.2004 erfolgt.

Mit Schreiben vom 12.7.2005 widersprach der Bevollmächtigte des Klägers der Umbuchung. Ein Haftungsbescheid vom 18.2.2004 liege dem Kläger nicht vor. Daraufhin teilte der Beklagte dem Bevollmächtigten des Klägers mit Schreiben vom 20.7.2005 mit, dass der Haftungsbescheid vom 18.2.2004 mittels Postzustellungsurkunde bekannt gegebenen worden sei.

Am 8. August 2005 legte der Bevollmächtigte des Klägers gegen den Haftungsbescheid vom 18.2.2004 Einspruch ein und beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Der Bevollmächtigte führte zunächst aus, der Bescheid sei weder bei dem Kläger noch bei ihm auffindbar. Der Kläger könne sich die Unauffindbarkeit nur so erklären, dass der Bescheid entweder von seiner Tochter „C” nicht an den Kläger weitergeleitet oder im Haus des Klägers bzw. auf dem Weg in die Kanzlei des Bevollmächtigten verloren gegangen sei. Da sich die Tochter „C” zurzeit in Schottland aufhalte, werde der Kläger den Sachverhalt mit ihr nach der Rückkehr nochmals besprechen. Sofern die Tochter den Brief an den Kläger weitergeleitet habe, sei nicht erklärlich, aus welchem Grund dieser dem Klä...

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