Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsätzlich kein Anspruch des Einspruchsführers auf Ruhen des Einspruchsverfahrens gem. § 363 AO
Leitsatz (redaktionell)
- Die Finanzbehörde entscheidet allein, ob sie im Falle der Zwangsruhe des Einspruchsverfahrens wegen eines verfassungs- oder bundesgerichtlichen Musterverfahrens den Ausgang dieses Verfahrens abwarten will oder das Rechtsbehelfsverfahren durch Einspruchsentscheidung abschließt.
- Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung sind aufgrund ihrer ausdrücklichen gesetzlichen Zuweisung zu den Sonderausgaben nicht als vorweggenommene Werbungskosten bei den Einkünften aus § 22 EStG abziehbar.
- Der Gesetzgeber ist nicht gezwungen, Vorsorgeaufwendungen als unbegrenzt abziehbare Sonderausgaben zum Abzug zuzulassen.
Normenkette
AO § 363 Abs. 2; EStG §§ 10, 22
Streitjahr(e)
2001
Nachgehend
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit des Erlasses einer Einspruchsentscheidung und die Nichtanerkennung von Beiträgen zur Rentenversicherung als Werbungskosten oder unbeschränkt abziehbare Sonderausgaben.
Die Klägerin ist unbeschränkt einkommensteuerpflichtig und wird beim Beklagten – dem Finanzamt „P-Stadt” – zur Einkommensteuer veranlagt. Sie war im Streitjahr nichtselbständig bei der „L-AG” beschäftigt. Die Klägerin gab am 19. September 2002 die Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 2001 ab. Sie beantragte die getrennte Veranlagung. Sie wurde mit Einkommensteuerbescheid vom 23. Oktober 2002 erklärungsgemäß zur Einkommensteuer veranlagt.
Die Klägerin legte gegen diesen Bescheid mit Schreiben vom 29. Oktober 2002 Einspruch ein. Hinsichtlich der Einspruchsbegründung wird auf das in den Steuerakten des Finanzamts befindliche 18-seitige Einspruchsschreiben vom 29. Oktober 2002 verwiesen. Die Klägerin beantragte u.a., das Einspruchsverfahren aufgrund des beim Bundesfinanzhof anhängigen Verfahrens unter dem Az. X R 45/02 zum Ruhen zu bringen. Mit Einspruchsentscheidung vom 10. Juli 2003 wies der Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die Einspruchsentscheidung des Beklagten vom 10. Juli 2003 verwiesen.
Die Klägerin hat gegen diese Einspruchsentscheidung Klage erhoben. Sie trägt unter anderem vor, der Beklagte habe ohne weitere Ankündigung das Einspruchsverfahren mit einer Einspruchsentscheidung beendet, ohne sie anzuhören und das weitere Verfahren abzuklären. Aufgrund der langen Bearbeitungszeit habe sie aber von einem Ruhen des Verfahrens ausgehen können. Der Beklagte verstoße zudem gegen § 363 Abs. 2 Abgabenordnung – AO –. Da der Beklagte aufgrund zahlreicher anhängiger Revisionsverfahren das Verfahren nicht zum Ruhen gebracht habe, liege ein Verfahrensfehler vor. Die Einspruchsentscheidung sei daher aufzuheben. Außerdem begehrt die Klägerin die Berücksichtigung der von ihr gezahlten Beiträge zur Rentenversicherung als Werbungskosten bzw. vollabziehbare Sonderausgaben.
Die Klägerin beantragt,
die Einspruchsentscheidung vom 10.07.2003 aufzuheben, hilfsweise die Berücksichtigung der gesetzlichen Rentenversicherungsbeiträge in voller Höhe (insbesondere als Werbungskosten).
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er führt aus, hinsichtlich der durch die Klägerin beanstandeten Verletzung des Rechtsschutzbedürfnisses bzw. der Gewährung des rechtlichen Gehörs sei zu berücksichtigen, dass sowohl Einspruch als auch finanzgerichtliche Klage kein Instrument zum bloßen Offenhalten des Steuerfalls wegen möglicher zukünftiger Entwicklungen der Rechtsprechung in Verfahren anderer Steuerpflichtiger sei. Sinn und Zweck des Einspruchs sei vielmehr, möglichst zügig eine Entscheidung in der Sache herbeizuführen. Das Finanzamt handele nicht ermessensfehlerhaft, wenn es den Einspruch nicht ruhen lasse, sondern über diesen entscheide.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist nicht begründet.
Die Klägerin kann mit ihrem Hauptantrag auf isolierte Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 10. Juli 2003 nicht durchdringen, weil ihr kein Anspruch auf das Ruhen des Einspruchsverfahrens gemäß § 363 Abs. 2 AO zusteht.
1. Gemäß § 363 Abs. 2 Satz 2 AO ruht das Einspruchsverfahren kraft Gesetzes (Zwangsruhe), falls wegen der Verfassungsmäßigkeit einer Rechtsnorm oder wegen einer Rechtsfrage ein Verfahren beim Europäischen Gerichtshof, dem Bundesverfassungsgericht oder einem obersten Bundesgericht anhängig ist und die Steuer wegen dieser Rechtsfrage nicht nach § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO vorläufig festgesetzt wurde (§ 363 Abs. 2 Satz 2, 2. Halbsatz AO). Entscheidend ist dabei, dass das anhängige verfassungsgerichtliche oder bundesgerichtliche Musterverfahren auch im Zeitpunkt der Einspruchsentscheidung noch nicht abgeschlossen ist. Zudem muss sich der Steuerpflichtige in seiner Einspruchsbegründung auf das Musterverfahren stützen. Die gesetzliche Zwangsruhe setzt aber nur dann ein, wenn die Rechtsfrage üb...