Entscheidungsstichwort (Thema)
Steuerhinterziehung durch Unterlassen: Nichtabgabe von Steuererklärungen – Tatbestandsvoraussetzung der Unkenntnis der Finanzbehörde – Vollständige Deklaration des Sachverhalts bei der Ertragsbesteuerung
Leitsatz (redaktionell)
1. Der objektive Tatbestand einer durch die Nichtabgabe von Steuererklärungen begangenen Steuerhinterziehung durch Unterlassen setzt voraus, dass der zuständige Bearbeiter der Finanzbehörde im Zeitpunkt des Abschlusses der regelmäßigen Veranlagungsarbeiten für den maßgeblichen Zeitraum von den wesentlichen steuerlich relevanten Umständen keine Kenntnis hat.
2. Dieses Tatbestandsmerkmal der Unkenntnis der Finanzbehörde liegt nicht vor, wenn ein Steuerpflichtiger, der durch die laufende Vermietung von mehr als 100 Garagen- und Außenstellplätzen unternehmerisch tätig ist, pflichtwidrig keine Umsatzsteuererklärungen abgibt, zugleich aber in den maßgeblichen Veranlagungszeiträumen den umsatzsteuerlich erheblichen Sachverhalt (mit Ausnahme der abzugsfähigen Vorsteuerbeträge) durch die Abgabe von ertragsteuerlichen Feststellungserklärungen gegenüber der Finanzbehörde vollständig und zeitgerecht deklariert hat.
Normenkette
AO §§ 88, 89 Abs. 1 S. 1, § 149 Abs. 1 S. 1, § 169 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 2, § 370 Abs. 1 Nr. 2; UStG § 1 Abs. 1 Nr. 1, § 2 Abs. 1, § 4 Nr. 12 S. 2, §§ 16, 18
Streitjahr(e)
2006, 2007, 2008, 2009, 2010, 2011
Tatbestand
Streitig ist zwischen den Beteiligten, ob dem vertretungsberechtigten Gesellschafter der Klägerin durch die Nichtabgabe von Umsatzsteuererklärungen für die Veranlagungszeiträume 2006 bis 2011 jeweils eine Steuerhinterziehung vorzuwerfen ist mit der Folge, dass sich die Festsetzungsfrist insoweit gemäß § 169 Abs. 2 S. 2 der Abgabenordnung - AO - auf zehn Jahre verlängert hat.
Die Klägerin ist eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts - GbR -.…Der vertretungsberechtigte Gesellschafter ist Rechtsanwalt und Justitiar. Mit Vertrag vom 0 0 .0 0 .1998 erwarb die Klägerin das unter anderem mit einer Garagenhalle ( über 100 Stellplätze) bebaute Grundstück G01 in X-Stadt zum Preis von…DM. Nach Erwerb des Grundstücks errichtete die Klägerin auf der Freifläche des Grundstücks 30 Einzelgaragen sowie zwei Außenstellplätze. Im Jahr 2002 kamen weitere zwölf Außenstellplätze hinzu. Die Garagen und Stellplätze wurden von der Klägerin an diverse private und gewerbliche Mieter vermietet.
Die Klägerin reichte jährlich die Erklärung zur gesonderten und einheitlichen Feststellung der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung ein. Umsatzsteuererklärungen reichte die Klägerin nicht ein.
In der jährlich eingereichten gesonderten und einheitlichen Feststellungserklärungen erklärte die Klägerin ”Einnahmen aus der Vermietung von Garagen, Werbeflächen, Grund und Boden für Kioske usw. sowie erstatteter Umsatzsteuer“. Die Einnahmen der Klägerin betrugen für das Jahr
2006 |
105.554 € |
2007 |
106.096 € |
2008 |
106.862 € |
2009 |
105.467 € |
2010 |
106.222 € |
2011 |
106.697 € |
Die Feststellungserklärung für 2006 hat die Klägerin am 16.03.2007, für 2007 am 30.05.2008, für 2008 am 04.12.2009, für 2009 am 11.02.2011, für 2010 am 30.05.2011 und für 2011 am 09.11.2012 beim Beklagten eingereicht. Die Erklärungen wurden bis einschließlich der Erklärung für den Veranlagungszeitraum 2008 beim Finanzamt X-Stadt -…, ab dem Veranlagungszeitraum 2009 aufgrund zwischenzeitlichen Umzugs des Geschäftsführers beim beklagten Finanzamt eingereicht.
Am 05.04.2019 reichte die Klägerin erstmals eine Umsatzsteuererklärung für 2018 für die Vermietung der Garagen und Stellplätze ein. Für das Folgejahr 2019 reichte die Klägerin Umsatzsteuervoranmeldungen ein.
Im Rahmen einer Selbstanzeige erklärte die Klägerin Umsatzsteuerbeträge für die Jahre 2012 bis 2017.
Der steuerliche Berater der Klägerin führte hierzu aus, dass im Rahmen der Feststellungs- und Umsatzsteuererklärung 2018 aufgefallen sei, dass in den Vorjahren erzielte Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung der Stellplätze und Garagen versehentlich nicht der Umsatzsteuer unterworfen worden seien. Die Gesellschafter der Klägerin seien davon ausgegangen, dass Einnahmen aus der Vermietung und Verpachtung nicht der Umsatzsteuer unterlägen. Die Klägerin sei zuvor auch nicht steuerlich beraten gewesen. Umsatzsteuer habe sie weder in ihren Mietverträgen noch in irgendwelchen Abrechnungen gesondert ausgewiesen.
Am 22.05.2019 wurde durch das Finanzamt für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung Y-Stadt das Steuerstrafverfahren gemäß § 397 AO eingeleitet und am 12.06.2019 hinsichtlich der Veranlagungszeiträume 2006 bis 2018 eine Umsatzsteuer-Sonderprüfung bei der Klägerin begonnen, die mit Prüfungsbericht vom 21.08.2019 endete.
Unter Hinweis auf die grundsätzliche Umsatzsteuerpflicht der Garagen- und Stellplatzvermietung gelangte die Prüferin zu der Feststellung, dass die Mieteinnahmen für die Jahre 2006 und 2011 nachträglich der Umsatzsteuer zu unterwerfen seien. Aufgrund des bereits eingeleiteten Steuerstrafverfahrens sei davon auszugehen, dass den Gesellschafte...