Entscheidungsstichwort (Thema)

EuGH-Vorlage: Verzinsung von erstatteten Einfuhrabgaben

 

Leitsatz (amtlich)

Dem Gerichtshof der Europäischen Union wird folgende Frage zur Auslegung von Handlungen der Organe der Union im Wege der Vorabentscheidung vorgelegt:

Ist ein Verstoß gegen das Unionsrecht als Voraussetzung des vom Gerichtshof der Europäischen Union entwickelten unionsrechtlichen Zinsanspruchs auch gegeben, wenn eine mitgliedstaatliche Behörde eine Abgabe unter Verletzung rechtsgültiger Vorschriften des Unionsrechts festsetzt und ein mitgliedstaatliches Gericht diesen Verstoß gegen das Unionsrecht feststellt?

Tenor:

I. Das Verfahren wird bis zur Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union ausgesetzt.

II. Dem Gerichtshof der Europäischen Union wird folgende Frage zur Auslegung von Handlungen der Organe der Union im Wege der Vorabentscheidung vorgelegt:

Ist ein Verstoß gegen das Unionsrecht als Voraussetzung des vom Gerichtshof der Europäischen Union entwickelten unionsrechtlichen Zinsanspruchs auch gegeben, wenn eine mitgliedstaatliche Behörde eine Abgabe unter Verletzung rechtsgültiger Vorschriften des Unionsrechts festsetzt und ein mitgliedstaatliches Gericht diesen Verstoß gegen das Unionsrecht feststellt?

 

Normenkette

AO § 236 Abs. 1; ZK Art. 241; UZK Art. 116 Abs. 6

 

Nachgehend

EuGH (Urteil vom 28.04.2022; Aktenzeichen C-415/20, C-419/20, C-427/20)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Verzinsung von Abgaben, die das beklagte Hauptzollamt von der Klägerin nacherhoben, nach einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung der Klägerin jedoch wieder erstattet hat.

Die Klägerin führte aus Taiwan sog. Bolzenhaken, die zur Fertigung von Hundeleinen verwendet werden, ein. Nach einer Außenprüfung gelangte das beklagte Hauptzollamt zu der Auffassung, dass diese Waren entgegen der Anmeldung der Klägerin nicht als Waren der Position 8308 (Zollsatz 2,7 %), sondern als solche der Position 7907 (Zollsatz 5 %) der Kombinierten Nomenklatur (KN) zu behandeln seien. Mit zwei Abgabenbescheiden hob das beklagte Hauptzollamt Zoll nach, den die Klägerin in der Folge entrichtete.

Mit Urteil vom 20.06.2017 (VII R 24/15) hob der Bundesfinanzhof die beiden Nacherhebungsbescheide mit der Begründung auf, dass die Nacherhebung der Einfuhrabgaben rechtswidrig sei, weil die Waren in die Position 8308 KN einzureihen seien; ein Vorabentscheidungsersuchen beim Gerichtshof der Europäischen Union hatte der Bundesfinanzhof nicht gestellt.

Das beklagte Hauptzollamt erstattete der Klägerin die von ihr entrichteten Einfuhrabgaben; den Antrag der Klägerin auf Verzinsung der von ihr entrichteten Einfuhrabgaben für den Zeitraum ab ihrer Entrichtung bis zur Erstattung lehnte es jedoch ab.

Nach erfolglosem Einspruchsverfahren hat die Klägerin Klage erhoben. Im Verlauf des Klageverfahrens hat das beklagte Hauptzollamt der Klägerin Prozesszinsen für den Zeitraum ab Klageerhebung gegen die Nacherhebungsbescheide (September 2014) bis zur Erstattung der von der Klägerin entrichteten Einfuhrabgaben (Oktober 2017) gewährt. Insoweit ist der Rechtsstreit erledigt. Die Beteiligten streiten noch darum, ob die Klägerin Zinsen auch für den Zeitraum ab Entrichtung der rechtswidrig erhobenen Einfuhrabgaben (März 2014) bis zur Klagerhebung gegen die Nacherhebungsbescheide (September 2014) beanspruchen kann.

 

Entscheidungsgründe

Der Beschluss ergeht gemäß § 5 Abs. 3 Satz 2 Finanzgerichtsordnung (FGO) in der Besetzung mit drei Berufsrichtern ohne Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter; bei - so wie hier - Beschlüssen außerhalb der mündlichen Verhandlung wirken die ehrenamtlichen Richter nicht mit (§ 5 Abs. 3 Satz 2 FGO).

Der Senat setzt das Verfahren in entsprechender Anwendung des § 74 FGO aus und legt dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) gemäß Art. 267 Unterabsatz 2 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) die im Tenor genannte Frage zur Vorabentscheidung vor, weil die rechtliche Würdigung des Falles zweifelhaft ist.

I. Rechtlicher Rahmen

Für die Entscheidung des Rechtsstreits sind folgende Bestimmungen maßgebend:

1. Nationale Vorschriften

Abgabenordnung (AO) in der Fassung der Bekanntmachung vom 01.10.2002 (Bundesgesetzblatt I S. 3866):

§ 1 Anwendungsbereich

(1) Dieses Gesetz gilt für alle Steuern einschließlich der Steuervergütungen, die durch Bundesrecht oder Recht der Europäischen Union geregelt sind, soweit sie durch Bundesfinanzbehörden oder Landesfinanzbehörden verwaltet werden. Es ist nur vorbehaltlich des Rechts der Europäische Union anwendbar.

...

(3) Auf steuerliche Nebenleistungen sind die Vorschriften dieses Gesetzes vorbehaltlich des Rechts der Europäischen Union sinngemäß anwendbar ...

§ 3 Steuern, steuerliche Nebenleistungen

(1) Steuern sind Geldleistungen, die nicht eine Gegenleistung für eine besondere Leistung darstellen und von einem öffentlich-rechtlichen Gemeinwesen zur Erzielung von Einnahmen allen auferlegt werden, bei denen der Tatbestand zutrifft, an den das Gesetz die Leistungspflicht knüpft; die E...

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