rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer/Grundgesetz: Keine AdV bei Einkünften aus privaten Wertpapier-Veräußerungsgeschäften
Leitsatz (amtlich)
Bei der Abwägung zwischen den auf strukturelle Vollzugshindernisse gestützten verfassungsrechtlichen Zweifeln an der Besteuerung privater Wertpapier-Veräußerungsgeschäfte einerseits und dem öffentlichen Haushaltsinteresse andererseits hat letzteres Vorrang.
Normenkette
FGO § 69; EStG § 22 Abs. 1 Nr. 2, § 23 Abs. 1 Nr. 2; GG Art. 3 Abs. 1
Tatbestand
A.
I. Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob wegen möglicher Verfassungswidrigkeit der Besteuerung privater (Wertpapier-)Veräußerungsgeschäfte nach § 22 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 23 Abs. 1 Nr. 2 Einkommensteuergesetz in der für den Veranlagungszeitraum 2000 geltenden Fassung (EStG) eine Aussetzung der Vollziehung (AdV) gewährt werden kann.
Die Antragsteller, zusammen zur Einkommensteuer (ESt) veranlagte Ehegatten, erzielten im Streitjahr 2000 u.a. Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften in siebenstelliger Höhe. Die Wertpapiere wurden teils weniger als sechs Monate und im Übrigen weniger als ein Jahr nach Anschaffung veräußert.
II. Der Antragsgegner (das Finanzamt -FA-) setzte gemäß den erklärten Einkünften die Einkommensteuer mit Bescheid vom 5. August 2002 fest und fordert eine in DM siebenstellige bzw. in € sechsstellige Nachzahlung.
Die Antragsteller legten am 4. September 2002 Einspruch ein und beantragten AdV, die vom FA am 9. September 2002 abgelehnt wurde.
Gegen die Ablehnung der AdV legten die Antragsteller am 19. September 2002 ebenfalls Einspruch ein. Zur Begründung bezogen sie sich auf den Vorlagebeschluss des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 16. Juli 2002 IX R 62/99 an das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) zur Verfassungswidrigkeit der Vorgängervorschrift des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Bstb. b EStG 1997 betreffend die Besteuerung von Wertpapier-Spekulationseinkünften (BFHE vorgesehen, Finanz-Rundschau -FR- 2002, 1283 mit Anm. Harenberg, BFH/NV 2002, 1649). Dieser Einspruch wurde mit Einspruchsentscheidung vom 14. Oktober 2002 zurückgewiesen (Einkommensteuer-Akte -ESt-A- {unpaginiert}; Finanzgerichts-Akte -FG-A- Bl. 3).
III. Die Antragsteller tragen zur Begründung ihres am 8. November 2002 beim Finanzgericht (FG) eingegangenen Antrags auf AdV vor:
Nachdem der BFH die Besteuerung von Wertpapier-Veräußerungsgeschäften bzw. -Spekulationsgewinnen wegen struktureller Vollzugshindernisse als verfassungswidrig angesehen habe, sei vorläufiger Rechtsschutz durch AdV zu gewähren, ohne dass es einer weiteren Ausschöpfung des Rechtswegs bedürfe.
Die Antragsteller beantragen sinngemäß, die Vollziehung des Einkommensteuerbescheids 2000 vom 5. August 2002 auszusetzen, soweit die Einkommensteuer-Nachforderung auf die Besteuerung der privaten (Wertpapier-)Veräußerungsgeschäfte entfällt.
Der Antragsgegner beantragt, den Antrag abzulehnen.
Der Antragsgegner trägt vor: Gegen eine AdV spreche das überwiegende öffentliche Interesse an einer geordneten Haushaltsführung.
Der Senat nimmt ergänzend Bezug auf die oben angeführten Vorgänge und die damit zusammenhängenden Schriftstücke aus der die AdV betreffenden Gerichtsakte (FG-A) sowie aus der Einkommensteuerakte (ESt-A) des FA.
Entscheidungsgründe
B.
Der zulässige Antrag auf AdV ist unbegründet.
I. Die Antragsteller können ihren Antrag auf AdV des Einkommensteuer-Bescheids 2000 nicht mit Erfolg auf Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Besteuerung privater (Wertpapier-)Veräußerungsgeschäfte stützen. Dem öffentlichen Interesse an einer geordneten öffentlichen Haushaltswirtschaft ist ausnahmsweise der Vorrang gegenüber dem Interesse der Antragsteller auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes einzuräumen.
1. Gemäß § 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 Finanzgerichtsordnung (FGO) soll das Gericht die Vollziehung ganz oder teilweise aussetzen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.
Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit bestehen, wenn bei überschlägiger Prüfung neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Umstände zu Tage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung der Tatfragen auslösen; andererseits ist es nicht erforderlich, dass die für die Rechtswidrigkeit sprechenden Gründe überwiegen (vgl. BFH-Entscheidungen vom 20. Mai 1992 III B 100/91, BFHE 168,174, BStBl II 1992, 729; vom 14. November 1989 VII B 124/89, BFH/NV 1990, 279).
2. Diese Grundsätze sind auch dann anzuwenden, wenn die Zweifel an der Rechtmäßigkeit mit Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit einer dem Bescheid zu Grunde liegenden Norm begründet werden (BFH-Entscheidungen vom 30. Januar 2001 VII B 291/00, BFH/NV 2001, 1031; vom 15. Dezember 2000 IX B 128/99, BFHE 194, 157, BStBl II 2001, 411; vom 9. O...