Entscheidungsstichwort (Thema)
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand; Organisationsverschulden
Leitsatz (amtlich)
1. Bei Zustellungen nach § 3 VwZG (Postzustellungsurkunde) müssen die Zustellungsumschläge zu den Handakten des Prozessbevollmächtigten genommen werden.
2. Eine hiervon abweichende Anweisungs- und Büropraxis begründet ein Organisationsverschulden i.s.d. § 56 FGO.
Normenkette
FGO § 56; VwZG § 3; ZPO § 177
Tatbestand
I. Streitig ist im Hauptsacheverfahren formell die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Klagefrist und materiell die Rechtmäßigkeit nach Außenprüfung geänderter Gewinnfeststellungsbescheide.
Der Antragsgegner (Ag) erließ nach erfolgter Außenprüfung gegen die Antragstellerin (Ast) geänderte Gewinnfeststellungsbescheide für 1994 und 1995 vom 07.12.2001. Hiergegen wandte sich die Ast mit Einsprüchen vom 21.12.2001, die der Ag mit Einspruchsentscheidung vom 23.09.2003 (EE) zurückwies. Die EE wurde den vormaligen Prozessbevollmächtigten der Ast - F - mit Postzustellungsurkunde am 24.09.2003 zugestellt, weshalb die Klagefrist des § 47 Abs. 1 FGO mit Ablauf des Freitag, 24.10.2003 endete.
Die Ast hat gegen die geänderten Gewinnfeststellungsbescheide vom 04.12.2001 in Gestalt der EE mit Schriftsatz der F am Montag, dem 27.10.2003 - verfristet - Klage erhoben (III 373/03).
Nach zwischenzeitlicher Mandatsübertragung auf die Prozessbevollmächtigte S, die in Kooperation und Bürogemeinschaft mit F tätig ist, hat diese für die Ast am 19.12.2003 vorliegenden Vollziehungsaussetzungsantrag gestellt, nachdem der Ag entsprechenden außergerichtlichen Antrag mit Bescheid vom 04.12.2003 abgelehnt hatte.
Zur Begründung beschränkt sich die Ast auf den in der Hauptsache (III 373/03) am 22.12.2003 gestellten Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Klagefrist und trägt dort durch S vor (Bl. 19 ff, 30 ff GA III 373/03):
Die Klagefrist sei durch ein Büroversehen versäumt worden. Die berufserfahrene Büroangestellte G, die mit der selbstständigen Führung des Fristenbuchs betraut sei, habe der Fristenberechnung versehentlich nicht das tatsächliche Eingangsdatum des 24.09.2003 zugrunde gelegt, sondern die sog. 3-Tage-Regelung (§ 122 Abs. 2 Nr. 1 AO). G sei jedoch angewiesen, bei Bescheiden, die S bzw. F direkt zugesandt würden, die Rechtsmittelfrist ausgehend von dem tatsächlichen Posteingangsdatum zu berechnen. G wisse, dass für die Fristberechnung der tatsächliche Bekanntgabetag maßgebend sei. Die 3-Tage-Regelung dürfe sie daher nur anwenden, wenn Steuerbescheide nicht S oder F, sondern den Mandanten direkt bekannt gegeben würden.
Darüber hinaus sei G angewiesen, auf dem Eingangsstempel der zugegangenen Schriftstücke die Zustellungsform zu kennzeichnen. So sei die öffentliche Zustellung durch ein "Z", die Zustellung gegen Empfangsbekenntnis durch ein "EB" und die Zustellung mittels eingeschriebenen Briefs durch ein "E" zu vermerken. Diese eindeutige Anweisung sei bei der streitgegenständlichen EE - wie auch in den Parallelsachen der Gesellschafter der Ast - nicht beachtet worden; der "gelbe Briefumschlag" sei vielmehr weggeworfen worden, ohne dass der Eingangsstempel der EE zuvor mit dem Zustellungsvermerk "Z" versehen worden wäre.
Andererseits ergäbe sich aus der bei Zöller, ZPO, 23. Auflage, § 233 Rz. 23 zitierten Rechtsprechung, dass bei Zustellung durch Postzustellungsurkunde der "gelbe Briefumschlag" nicht aufbewahrt und mit dem empfangenen Schriftstück verbunden werden müsse, sondern dass es ausreichend sei, die Zustellung durch einen besonderen Zustellungsvermerk auf dem Schriftstück zu vermerken. Andernfalls, d.h. bei Aufbewahrung der Umschläge, würden die Akten auch "zu dick" (vgl. Bl. 32R GA III 373/03).
G hat hierzu in eidesstattlichen Versicherungen vom 19.12.2003 und 20.04.2004 (Bl. 22, 335 GA III 373/03) u.a. ausgeführt: "Hinsichtlich der Behandlung von Steuerbescheiden und Einspruchsentscheidungen der Finanzämter, die direkt von den Finanzämtern an F adressiert sind und uns von den Finanzämtern direkt übermittelt werden, bin ich angewiesen, im Posteingangsbuch das Eingangsdatum der Bescheide zu notieren und von diesem Datum ausgehend die 1-Monatsfrist für Einsprüche bzw. Klagen zu berechnen - unter Berücksichtigung der Sonn-, Feiertags- und Sonnabendregelung für den Fristablauf - und den sich danach ergebenden letzten Tag vor Ablauf der Frist, also den Tag, bis zu dem einschließlich Einspruch und Klage eingelegt werden können, unter der Rubrik "Bestandskräftig am" im Fristenbuch einzutragen sowie eine Vorfrist - eine Woche vor Fristablauf - zu notieren, zu der die Bescheide nebst Akten den betreffenden Sachbearbeitern der jeweiligen Angelegenheit vorzulegen sind. ... Mir ist und war vollkommen klar, dass es für die Fristberechnung auf den tatsächlichen Zugang beim Adressaten ankommt und ich die 3-Tage-Regelung nur dann anzuwenden habe, wenn die Bescheide uns nicht direkt vom Finanzamt übersandt werden, sondern von den Mandanten, weil wir dann nicht wissen, wan...