Entscheidungsstichwort (Thema)
Ort der Akteneinsicht
Leitsatz (amtlich)
Die Übersendung der Akten in die Kanzlei des Prozessbevollmächtigten ist auf eng begrenzte Sonderfälle beschränkt. Ein solcher Sonderfall kann bei sehr umfangreichen und unübersichtlichen Sachakten in Betracht kommen.
Die Prüfung, ob die Akten besonders umfangreich und unübersichtlich sind, bezieht sich grundsätzlich auf das einzelne gerichtliche Verfahren; Parallelverfahren bleiben insoweit außer Betracht.
Normenkette
FGO § 78
Tatbestand
I.
Die Prozessbevollmächtigten der Klägerin beantragten mit der Klageschrift zugleich die Gewährung von Einsicht in die den Streitfall betreffenden Sachakten des beklagten Hauptzollamtes. Diesem Antrag entsprach der stellvertretende Vorsitzende des Senats unter dem 18.06.2009 mit der Maßgabe, dass die Prozessbevollmächtigten der Klägerin ein Gericht benennen mögen, bei dem Akteneinsicht genommen werden solle.
Mit Schriftsatz vom 24.06.2009 haben die Prozessbevollmächtigten der Klägerin beantragt, ihnen die Akten zur Einsichtnahme in ihre Kanzleiräume zu übersenden. Unter Hinweis auf den Beschluss des Bundesfinanzhofs vom 31.10.2008 (V B 29/08) verweisen sie darauf, dass der Akteninhalt schon mit Blick auf die fünf weiteren Parallelverfahren umfangreich und unübersichtlich sei, so dass ausnahmsweise eine Übersendung der Akten in die Kanzleiräume gerechtfertigt sei.
Entscheidungsgründe
II.
Das Gesuch der Prozessbevollmächtigten der Klägerin, ihnen die den Streitfall betreffenden Akten in ihre Kanzleiräume zu übersenden, bleibt ohne Erfolg. Die Prozessbevollmächtigten haben keinen Anspruch darauf, dass ihnen die Akten zur Einsichtnahme in die Kanzleiräume übersandt werden.
In § 78 Abs. 1 FGO ist bestimmt, dass die Beteiligten die Gerichtsakten und die dem Gericht vorgelegten Akten einsehen können. Die Beteiligten können sich auf ihre Kosten durch die Geschäftsstelle Ausfertigungen, Auszüge, Ausdrucke und Abschriften erteilen lassen (§ 78 Abs. 2 Satz 1 FGO). Diese gesetzlichen Regelungen - Akten "einsehen", Erteilung von Abschriften durch die Geschäftsstelle - zeigen, dass die Akteneinsicht grundsätzlich auf der Geschäftsstelle des zuständigen Senats zu nehmen ist. Der Gesetzgeber mutet daher den Beteiligten und ihren Prozessbevollmächtigten grundsätzlich zu, sich zur Ausübung ihres Rechts auf Akteneinsicht zu dem Gericht zu begeben, das mit der Streitsache befasst ist (vgl. nur BFH, Beschluss vom 25.09.2006, VI B 136/05, BFH/NV 2007, 86). Allerdings kann die Einsichtnahme in die Prozessakten ausnahmsweise auch an einem anderen Ort als auf der Geschäftsstelle des zuständigen Senats erfolgen. Die Entscheidung darüber, ob die Akten einem Prozessbevollmächtigten zur Akteneinsicht in dessen Geschäftsräume überlassen werden können, ist eine gerichtliche Ermessensentscheidung. Im Rahmen dieser Ermessensentscheidung hat der zuständige Senat nicht nur die für und gegen eine Aktenübersendung sprechenden Interessen - scil. insbesondere Zeit- und Kostengesichtspunkte auf Seiten des Prozessbevollmächtigten einerseits sowie die Vermeidung von Aktenverlusten, die Wahrung des Steuergeheimnisses gegenüber Dritten und die jederzeitige Verfügbarkeit der Akten im Gericht andererseits - gegeneinander abzuwägen, sondern auch das in § 78 Abs. 1 FGO normierte Regel-Ausnahme-Verhältnis zu beachten (vgl. BFH, Beschluss vom 25.09.2006, VI B 136/05, BFH/NV 2007, 86; Beschluss vom 26.09.2003, III B 112/02, BFH/NV 2004, 210; Beschluss vom 01.08.2002, VII B 65/02, BFH/NV 2003, 59). Ein Ausnahmefall, der eine Übersendung der Akten in das Büro des Prozessbevollmächtigten ausnahmsweise rechtfertigt, ist nach der Rechtsprechung etwa gegeben, wenn die Akten, in die Einsicht genommen werden soll, außergewöhnlich umfangreich und unübersichtlich sind und es dem Prozessbevollmächtigten deshalb und wegen der Dienstzeit der Mitarbeiter des Finanzgerichts auch bei intensivem Bemühen voraussichtlich nicht möglich sein wird, sich innerhalb eines angemessenen Zeitraumes über den Akteninhalt zu informieren (vgl. BFH, Beschluss vom 31.10.2008, V B 29/08, BFH/NV 2009, 194; Beschluss vom 26.09.2003, III B 112/02, BFH/NV 2004, 210). Eine weitere Ausnahme kann in Betracht kommen, wenn der mit der Streitsache betraute Prozessbevollmächtigte auf einen Rollstuhl angewiesen ist (vgl. BFH, Beschluss vom 29.10.2008, III B 176/07, BFH/NV 2009, 192). Unbequemlichkeiten, die regelmäßig mit der Akteneinsicht außerhalb der Kanzleiräume verbunden sind, begründen dagegen keine Ausnahme von der gesetzgeberischen Grundentscheidung, wonach die Einsichtnahme in die Akten bei Gericht die Regel ist (vgl. BFH, Beschluss vom 23.05.2008, III B 107/07, juris).
Unter Berücksichtigung der vorstehend skizzierten Vorgaben können die Prozessbevollmächtigten der Klägerin im Streitfall nicht beanspruchen, dass ihnen die Akten in die Kanzlei zur Einsichtnahme übersandt werden. Dem berechtigten Interesse der Prozessbevollmächtigten der Klägerin, angesichts der Entfernung von etwa 200 km zwischen K...