Entscheidungsstichwort (Thema)
Körperschaftsteuer: Körperschaftsteuererhöhungsbetrag nach § 38 KStG 2002 n. F.
Leitsatz (amtlich)
1. Die mit der Änderung des § 38 KStG 2002 durch das Jahressteuergesetz 2008 herbeigeführte zwangsweise Besteuerung des EK 02 ist nicht verfassungswidrig. Die Neuregelung entfaltet keine unzulässige unechte Rückwirkung, denn die Klägerin hat eine verfestigte Rechtsposition in Bezug auf die Steuerfreiheit des EK 02 noch nicht erlangt. Die bloße allgemeine Erwartung in den Fortbestand der alten Rechtslage genießt keinen besonderen verfassungsrechtlichen Schutz.
2. Grundsätzlich schafft der Gesetzgeber einen besonderen Vertrauenstatbestand durch den Erlass von Übergangsregelungen, die nur unter besonderen Anforderungen vorzeitig aufgehoben werden können. Bei einem so komplexen Sachverhalt wie der Umstellung des Besteuerungssystems von Körperschaften und der Geltung sehr langfristiger Übergangsregelungen kommt dem Interesse des Gesetzgebers, die Übergangsvorschriften auf Grund von veränderten Verhältnissen oder Fehlentwicklungen anzupassen, jedoch besonderes Gewicht zu, die das lediglich allgemeine Interesse der Steuerpflichtigen am Fortbestand der bisherigen Rechtslage überwiegen.
3. Das Prinzip der Besteuerung nach der finanziellen Leistungsfähigkeit wird durch die Herbeiführung der zwangsweisen Besteuerung nicht verletzt, denn durch die Vergleichsrechnung gemäß § 38 Abs. 5 KStG 2002 n. F. wird die Besteuerung auf das tatsächlich verfügbare ausschüttungsfähige Eigenkapital begrenzt.
4. Das Gleichheitsgebot des Art. 3 Abs. 1GG wird nicht dadurch verletzt, dass steuerbefreiten Körperschaften und bestimmten Unternehmen aus dem Bereich der Wohnungswirtschaft das Recht eingeräumt wird, zur Anwendung des bisherigen Rechts zu optieren.
Normenkette
KStG 2002 n.F. § 38
Nachgehend
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit der Festsetzung eines Körperschaftsteuererhöhungsbetrags gemäß § 38 Abs. 5 und 6 des Körperschaftsteuergesetzes in der Fassung des Jahressteuergesetz 2008 vom 20.12.2007 (KStG 2002 n. F.).
Die Klägerin, eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung, betreibt einen zertifizierten Entsorgungsfachbetrieb, welcher sich mit der Aufbereitung und Verwertung von flüssigen und festen Abfällen befasst. Mitte der 90er Jahre wurde eine wirtschaftliche Krise und drohende Insolvenz des Unternehmens durch einen erheblichen Forderungsverzicht der Gläubiger abgewendet. Der sich daraus ergebende Sanierungsgewinn wurde nach § 3 Nr. 66 des Einkommensteuergesetzes in der bis 1997 geltenden Fassung (EStG a.F.) vom Finanzamt als steuerfrei behandelt. Gemäß § 30 Abs. 1 S. 3 Nr. 3 und Abs. 2 Nr. 2 KStG 1996 wurde der steuerfreie Gewinn in das EK 02 eingestellt. Zum 31.12.2001 stellte der Beklagte den Bestand des EK 02 mit 13.876.353 € fest; dieser hat sich seit dem nicht verändert. Das steuerliche Einlagekonto beträgt unverändert 168.891 €.
Mit Bescheid vom 27.02.2009 setzte der Beklagte einen Körperschaftsteuererhöhungsbetrag nach § 38 Abs. 5 und 6 KStG 2002 n. F. auf 416.290 € fest.
Dagegen legte die Klägerin am 17.03.2009 Einspruch ein, den der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 26.01.2011 als unbegründet zurückwies.
Am 25.02.2011 hat die Klägerin Klage erhoben. Zur Begründung führt sie aus, dass der festgesetzte Körperschaftsteuererhöhungsbetrag, auf dem durch einen Sanierungsgewinn zurückzuführenden Bestand des EK 02 beruhe. Sie, die Klägerin, tilge noch heute Verbindlichkeiten aus der Sanierungsvereinbarung und erziele nach wie vor erhebliche Verluste. Mit der Festsetzung des Körperschaftsteuererhöhungsbetrags werde die damals gewährte Steuerbefreiung nach § 3 Nr. 66 EStG a.F. wieder rückgängig gemacht. Nach der Rechtslage nach Umstellung des Anrechnungsverfahrens auf das Halbeinkünfteverfahren wäre eine Körperschaftsteuererhöhung gemäß § 38 Abs. 2 KStG in der Fassung des Gesetzes zur Fortentwicklung des Unternehmenssteuerrechts vom 20.12.2001 (KStG 2002 a.F.) mit Ablauf des 15. bzw. 18. Wirtschaftsjahres vollständig entfallen. Die erneute Änderung mit dem Jahressteuergesetz 2008 führe nun zu einer Besteuerung. Diese Neuregelung sei verfassungswidrig, denn sie entfalte eine unzulässige Rückwirkung. Der Gesetzgeber greife in abgewickelte Sachverhalte ein. Zwar habe auch § 38 Abs. 2 Satz 3 KStG 2002 a.F. keine unbedingte Steuerbefreiung gewährt, jedoch habe es im Ermessen des Steuerpflichtigen gelegen, durch entsprechende Disposition die durch Zeitablauf eintretende Steuerbefreiung zu erlangen. Sie, die Klägerin, habe und hätte auch weiterhin bewusst auf Ausschüttungen verzichtet und damit eine Disposition getroffen. Diese Möglichkeit der Steuerbefreiung durch Zeitablauf werde ihr durch die Änderung des § 38 KStG 2002 a.F. entzogen. Es mache dabei einen Unterschied, ob ein in der Vergangenheit nicht besteuerter Sachverhalt zukünftig einer Besteuerung unterworfen werde oder ob eine gesetzliche Regelung existiere, die für einen bereits ...