Entscheidungsstichwort (Thema)
Rückforderung von angerechneter Kapitalertragsteuer im „cum/ex-Verfahren“
Leitsatz (amtlich)
1. Körperschaftsteuerbescheide können zulässigerweise mit dem Ziel angefochten werden, eine höhere Körperschaftsteuer zu erreichen, wenn damit über § 36 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 EStG i.V.m. § 31 Abs. 1 Satz 1 KStG eine Anrechnung von Steuerabzugsbeträgen erwirkt werden soll.
2. Das Finanzgericht kann sich einzelne Feststellungen aus rechtskräftigen Strafurteilen zu eigen machen, ohne selbst eine Beweisaufnahme durchzuführen, auch wenn andere Feststellungen der Strafurteile substantiiert angegriffen werden.
3. Im OTC-Handel wird das wirtschaftliche Eigentum an Aktien (§ 39 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 AO) nicht bereits durch den schuldrechtlichen Kaufvertrag erworben. Dadurch wird dem Aktienkäufer weder eine Ausschließungsmacht noch eine aktive Nutzungsmacht verschafft.
4. Bei Dividendenkompensationszahlungen wird die Kapitalertragsteuer dadurch erhoben, dass das inländische Kreditinstitut oder der inländische Finanzdienstleister als die den Verkaufsauftrag ausführende Stelle (§ 44 Abs. 1 Satz 3 EStG) vom Aktienverkäufer die Bruttodividende erhält, aber nur die Nettodividende an den Aktienkäufer weiterleitet. Kein Einbehalt und damit auch keine Erhebung der Kapitalertragsteuer liegt vor, wenn das Kreditinstitut bei dem Aktienverkäufer keinen Rückgriff in Höhe der Bruttodividende nimmt.
5. Die Rücknahme der Anrechnung von Kapitalertragsteuer wegen arglistiger Täuschung (§ 130 Abs. 2 Nr. 2 AO) kann auch dann erfolgen, wenn ein Dritter die Täuschung begangen hat. Dieser Umstand ist allerdings bei der Ermessensausübung zu berücksichtigen.
6. In der Vorlage einer formal richtigen aber inhaltlich unzutreffenden Steuerbescheinigung liegt eine Täuschung über die Tatsache der Erhebung der Kapitalertragsteuer.
7. Wenn der Begünstigte einer Anrechnung von Kapitalertragsteuer die Unrichtigkeit seiner Angaben und/oder die Rechtswidrigkeit der Anrechnungsverfügung kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte, ist das Ermessen bei einer Rücknahme der Anrechnungsverfügung (§ 130 Abs. 2 Nr. 3 und 4 AO) intendiert. Beim Vorliegen von mehreren Rücknahmegründen verstärkt sich das Interesse des Staates an der Rücknahme und damit der Herstellung der materiellen Gerechtigkeit.
8. Die Zahlungsverjährung als Begrenzung der Änderung einer Anrechnungsverfügung beginnt bei Änderungen der Steuerfestsetzung jeweils neu zu laufen.
9. Die Zinsfestsetzung ist zu ändern, wenn die Anrechnung von Steuerabzugsbeträgen zurückgenommen wird (§ 233a Abs. 5 Satz 1 AO).
Normenkette
AO §§ 39, 130, 173, 233a; EStG § 20 Abs. 1 Nr. 1 S. 4, § 36 Abs. 2 S. 2 Nr. 2; KStG § 31
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die steuerliche Behandlung von sog. "cum/ex"-Geschäften einer Organgesellschaft der Klägerin in den Jahren 2007 bis 2009.
Die Klägerin ..., ist eine Beteiligungsgesellschaft und Inhaberin sämtlicher Aktien an der A ... (im Folgenden: Bank-1). Die Rechtsvorgängerin der Klägerin hatte am ... 2007 mit der Bank-1 einen Beherrschungs- und Ergebnisabführungsvertrag geschlossen, der am ... 2007 im Handelsregister eingetragen wurde. Die Bank-1 ist ein Kreditinstitut mit der Erlaubnis, Eigengeschäfte durchzuführen.
Bei den sog. "cum/ex"-Geschäften handelt es sich allgemein gesprochen um eine Form des klassischen Dividendenstrippings: Die Aktien werden kurz vor oder am Dividendenstichtag und damit ("cum") Dividendenanspruch von einem Erwerber gekauft. Die Lieferung der Aktien erfolgt nach den Börsenregularien regelmäßig nicht am Kauftag, sondern zwei Börsentage danach. Dies wird nach den handelstypischen Abkürzungen als "t+2" Lieferung bezeichnet. Damit erfolgt die Lieferung ohne Dividendenanspruch ("ex").
Die Abwicklung erfolgte bei einem klassischen Inhaberverkauf über die Börse folgendermaßen: Jeder Käufer, der eine Aktie vor dem Dividendenstichtag erwarb (also "cum"), diese aber erst nach dem Dividendenstichtag geliefert bekam, erhielt neben der "ex"-Aktie einen Betrag in Höhe der Nettodividende gutgeschrieben. Spiegelbildlich zu dieser Gutschrift beim Käufer brachte die Depotbank beim Verkäufer einen Sperrvermerk an, der am Dividendenstichtag dazu führte, dass dem Verkäufer die Nettodividende nicht mehr gutgeschrieben wurde, obwohl die Aktie noch in seinem Depot war. Die Steuer auf die Dividende hatte zuvor bereits der Emittent abgeführt.
Bei einem sog. Leerverkauf, das heißt, wenn sich die Aktie nicht im Depot des Verkäufers befand, konnte ein Sperrvermerk bei Börsengeschäften nicht angebracht werden. Dennoch wurde dem Käufer ein Betrag in Höhe der Nettodividende gutgeschrieben. Der Verkäufer erhielt die Nettodividende. Dies war wirtschaftlich kein Problem für die das Geschäft abwickelnden Kreditinstitute, weil der Verkäufer zugleich mit dem Betrag belastet wurde, der dem Käufer gutgeschrieben worden war.
Die Bank-1 führte in den Streitjahren außerbörsliche Aktiengeschäfte (sog. "over the counter" - OTC-Geschäfte) rund um den Dividendenstichtag aus....