Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Änderung europarechtswidriger, bestandskräftiger Bescheide
Leitsatz (amtlich)
Das Gemeinschaftsrecht verlangt nicht, dass eine Verwaltungsbehörde grundsätzlich verpflichtet ist, bestandskräftige Bescheide zurückzunehmen, bei denen der Rechtsweg nicht ausgeschöpft wurde.
Normenkette
EGV Art. 10; AO §§ 172 ff
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darum, ob Umsatzsteuerbescheide zu Gunsten der Klägerin zu ändern sind, weil das nationale Recht, auf denen die Bescheide beruhen, nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) gegen europäisches Recht verstoßen hat.
I. Die Klägerin betrieb von 1989 bis 1991 ein Automatencasino, in denen sie Umsätze unter anderem mit Geldspielgeräten erzielte. In ihren Umsatzsteuererklärungen (für 1989 vom 22. September 1990, Umsatzsteuerakte - UStA - Bd. I, Bl. 2; für 1990 vom 11. September 1991, UStA l Bl. 7; für 1991 vom 03. November 1992, UStA I Bl. 17) berücksichtigte sie auch die mit diesen Geräten erzielten Umsätze, und zwar auf der Grundlage der von den Kunden eingeworfenen Geldbeträge. Die Erklärungen galten gemäß § 168 Satz 1 Abgabenordnung (AO) als Steuerfestsetzungen unter dem Vorbehalt der Nachprüfung. Mit Schreiben vom 05. Dezember 1994 (UStA I Bl. 27) beantragte die Klägerin, die Umsatzsteuer mit der Maßgabe festzusetzen, dass die Umsatzsteuer statt auf der Grundlage der Spielereinsätze nach dem Einspielergebnis berechnet wird. Zur Begründung bezog sie sich auf eine Entscheidung des EuGH vom 05. Mai 1994. Der Beklagte entsprach diesem Antrag und erließ für alle drei Streitjahre am 13. Februar 1995 entsprechende Änderungsbescheide, in denen auch der Vorbehalt der Nachprüfung aufgehoben wurde. Diese Bescheide wurden bestandskräftig.
II. Die Klägerin stellte mit Schreiben vom 05. September 2005 (UStA I Bl. 1) den Antrag auf Änderung der Umsatzsteuerbescheide dahin, dass die mit den Geldspielgeräten erzielten Umsätze als umsatzsteuerfrei behandelt werden. Zur Begründung bezog sie sich auf ein Urteil des EuGH vom 17. Februar 2005 (C-453/02 und C-462/02) sowie des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 12. Mai 2005 (V R 7/02). Zugleich beantragte sie das Ruhen des Verfahrens bis zur Entscheidung zweier Musterverfahren (BFH V R 28/05 und FG Niedersachsen 5 K 249/05). Der Beklagte lehnte den Änderungsantrag mit Bescheid unter dem Datum von Freitag, den 23. September 2005 (UStA II Bl. 18), ab. Nur unter engen, bei der Klägerin nicht vorliegenden Voraussetzungen bestehe ein Anspruch auf Änderung eines europarechtswidrigen, aber bestandskräftigen Bescheids. Wegen der Einzelheiten wird auf den Bescheid Bezug genommen. Die Klägerin legte am Donnerstag, den 27. Oktober 2005 Einspruch (UStA II Bl. 21) ein und beantragte das Ruhen des Einspruchsverfahrens im Hinblick auf die beiden bereits im Antrag genannten Musterverfahren (das Verfahrens des FG Niedersachsen war zwischenzeitlich beim BFH anhängig, V R 51/05). Mit Vorlage einer Kopie des Ablehnungsbescheids mit Eingangsstempel ihre Bevollmächtigten vom 27. September 2005 belegte die Klägerin die Rechtzeitigkeit ihres Einspruchs. Der Beklagte teilte der Klägerin unter Gewährung von rechtlichem Gehör mit Schreiben vom 19. Februar 2007 (UStA II Bl. 47) mit, dass die Verfahren, deretwegen das Einspruchsverfahren bisher geruht habe, erledigt seien. Der BFH habe am 23. November 2006 entschieden, dass ein Betreiber von Geldspielautomaten nicht im Hinblick auf das EuGH-Urteil vom 17. Februar 2005 die Änderung bestandskräftiger Steuerfestsetzungen verlangen könne. Wegen des genauen Inhalts wird auf dieses Schreiben Bezug genommen. Mit Einspruchsentscheidung vom 25. April 2007 wies der Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück und nahm zur Begründung Bezug auf sein Schreiben vom 19. Februar 2007.
III. Die Klägerin erhob am 24. Mai 2007 Klage. Sie trägt vor, dass die Umsatzbesteuerung der Geldspielgeräte schon in den Streitjahren europarechtswidrig gewesen sei. Sie könne sich unmittelbar auf die Sechste EG-Richtlinie berufen. Der Beklagte sei daher zur europarechtskonformen Änderung verpflichtet. Sollte § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d AO einer Änderungsbefugnis entgegenstehen, verstoße diese Vorschrift gegen Art. 10 EGV, der alle Mitgliedsstaaten verpflichte, eine Verfahrensordnung zu schaffen, die es erlaube, das Europarecht effizient umzusetzen, und sei diese Vorschrift daher wegen des Anwendungsvorrangs des Gemeinschaftsrechts unbeachtlich. Aus der bisherigen Rechtsprechung ergebe sich nicht Gegenteiliges. Vielmehr habe das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in seinem Beschluss vom 4. September 2008 (2 BvR 1321/07) festgestellt, dass der EuGH die Fragen zur Durchbrechung der Bestandskraft gemeinschaftswidriger belastender Verwaltungsakte der Mitgliedsstaaten nicht erschöpfend beantwortet habe, und durchblicken lassen, dass es die Entscheidung des BFH für rechtswidrig, wenn auch nicht willkürlich halte. Soweit das Gericht eine Änderungspflicht des Beklagten nicht zu erkennen vermöge, sollte eine entsprech...