Entscheidungsstichwort (Thema)
Zolltarif: Wirksamkeit von verbindlichen Zolltarifauskünften
Leitsatz (amtlich)
1. Art. 12 Abs. 5 a) ii) Spiegelstrich 1 Zollkodex, wonach eine verbindliche Zolltarifauskunft ungültig wird, wenn sie mit der Auslegung einer Nomenklatur i. S. v. Art. 20 Abs. 6 Zollkodex auf Gemeinschaftsebene aufgrund einer Änderung der Erläuterungen der Kombinierten Nomenklatur oder eines Urteils des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften nicht mehr vereinbar ist, setzt nach dem Wortlaut eine Änderung der Rechtslage nach Erlass der verbindlichen Zolltarifauskünfte voraus. Die Bestimmung findet keine Anwendung auf Fälle, in denen eine verbindliche Zolltarifauskunft bereits zum Zeitpunkt ihrer Erteilung nicht mit der Auslegung der Nomenklatur vereinbar war.
2. Verbindliche Zolltarifauskünfte stellen begünstigende Entscheidungen im Sinne des Art. 9 Zollkodex dar, eine Rücknahme nach § 130 AO kommt daher nicht in Betracht.
Normenkette
ZK Art. 12 Abs. 5 a) ii) Spiegelstrich 1, Art. 9; AO § 130
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit bzw. den Widerruf zweier verbindlicher Zolltarifauskünfte.
Die Klägerin führte Ende 2010 sog. Video Messenger ein. Dabei handelt es sich um Videoaufnahmegeräte, mit denen kurze Videonachrichten (maximal 30 bzw. 60 Sekunden Dauer) aufgenommen werden können. Die Video Messenger können dank ihrer magnetischen Rückseite an vielen Stellen in der Umgebung angebracht werden und dienen zum Beispiel dazu, kurze Videonachrichten für Familienangehörige oder Freunde zu hinterlassen. Die Video Messenger verfügen über eine USB Schnittstelle, die ermöglicht, Videonachrichten mit einem USB-Kabel auf einen PC zu kopieren. Die Video Messenger sind nicht in der Lage, autonom und unabhängig von externem Material oder externer Software von außen eingehende Videosignale (z. B. Fernsehsendungen) aufzuzeichnen.
Der Klägerin waren vom Beklagten für die Video Messenger die verbindlichen Zolltarifauskünfte vom 22.11.2010 (DE ...0/...-1) und vom 11.01.2011 (DE ...1/...-1) erteilt worden, mit denen diese in die Unterposition 8525 8099 eingereiht wurden. Auf dieser Grundlage entrichtete die Klägerin Einfuhrabgaben für die oben genannten Einfuhren.
Mit Bescheid vom 17.08.2011 widerrief der Beklagte die streitgegenständlichen verbindlichen Zolltarifauskünfte gem. Art. 9 Abs. 1 i. V. m. Art. 12 Abs. 5 Zollkodex mit Wirkung ab Bekanntgabe des Bescheides. Zur Begründung führte der Beklagte aus, an der den verbindlichen Zolltarifauskünften zu Grunde liegenden Tarifierungsauffassung könne aufgrund des rechtskräftigen Urteils des Finanzgerichts Hamburg vom 19.04.2011 (4 K 289/09) nicht festgehalten werden. Nach diesem Urteil seien Camcorder mit USB-Schnittstelle nicht mehr in die Unterposition 8525 8099 sondern in die Unterposition 8525 8091 einzureihen. Die verbindlichen Zolltarifauskünfte würden mit Bekanntgabe dieses Bescheides ungültig (12 Abs. 5 a) iii) Zollkodex).
Gegen den Widerruf legte die Klägerin am 19.09.2011 Einspruch ein. Hilfsweise legte sie zudem unter Beantragung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand Einspruch gegen die verbindlichen Zolltarifauskünfte vom 22.11.2010 ein. Die Klägerin vertrat die Auffassung, die Video Messenger hätten von Anfang an der Unterposition 8525 8091 zugewiesen werden müssen. Das Finanzgericht Hamburg habe eine seit Jahren vom Europäischen Gerichtshof vertretene Auffassung (Urteil vom 27.09.2007, C-208/06) bestätigt. Diese Rechtsprechung entspreche auch den Erläuterungen zur Kombinierten Nomenklatur. Es habe also bereits 2010 der Auffassung der Europäischen Union entsprochen, Geräte der hier vorliegenden Art in die Unterposition 8525 8091 einzureihen. Da die verbindlichen Zolltarifauskünfte von Anfang an unrichtig und damit ungültig gewesen seien, hätten sie mit Wirkung ex tunc aufgehoben werden müssen. Der hilfsweise erhobene Einspruch gegen die verbindlichen Zolltarifauskünfte sei zulässig, weil sie - die Klägerin - deren Unrichtigkeit bis zum Erhalt des Widerrufsschreibens nicht hätte erkennen können, insoweit sei ihr Wiedereinsetzung zu gewähren.
Der Beklagte wies den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 30.03.2012 zurück. Die verbindlichen Zolltarifauskünfte seien gemäß Art. 9 Abs. 1 Zollkodex widerrufen worden, weil sich die deutsche Einreihungsauffassung aufgrund des Urteils des Finanzgerichts Hamburg vom 19.04.2011, wonach ein Camcorder mit USB-Schnittstelle, über die er Daten von einer automatischen Datenverarbeitungsmaschine auf dem internen Speicher aufzeichnen könne, der Unterposition 8525 8091 zuzuweisen sei, da sich die für den Aufzeichnungs- bzw. Speichervorgang erforderliche Software nicht auf dem Camcorder, sondern in der automatischen Datenverarbeitungsmaschine befinde, geändert habe. Der Widerruf sei ab dem Zeitpunkt der Bekanntgabe wirksam geworden (Art. 12 Abs. 5 a) i. V. m. Art. 9 Abs. 4 S. 1 Zollkodex). Die streitgegenständlichen verbindlichen Zolltarifauskünfte seien nicht aufgrund der Rechtsprechung des Gerichtshofs der E...