Entscheidungsstichwort (Thema)

Abgabenordnung: Erlass von Nachzahlungszinsen bei Leistungen vor Festsetzung der zu verzinsenden Steuer

 

Leitsatz (amtlich)

1. Es widerspricht nicht grundlegenden gesetzgeberischen Wertungen, wenn sich der Erlass von Nachzahlungszinsen auf die Zeitdauer von vollen Monaten zwischen der vorzeitigen Leistung und dem Ende des Zinslaufs beschränkt.

2. Die Ermessensvorgabe der Nr. 70.1.2 Satz 2 AEAO zu § 233 a AO gewährleistet daher im Ergebnis eine sachgerechte Ermessensausübung.

 

Normenkette

AO §§ 5, 233a, 238

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Kläger Anspruch auf Erlass von Steuernachforderungszinsen für einen (zusätzlichen) Monat haben.

Die Kläger werden zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Für das Jahr 2018 reichten sie ihre Einkommensteuererklärung am 26. Februar 2020 ein.

Mit dem Einkommensteuerbescheid vom 11. Dezember 2020 setzte der Beklagte Zinsen ab dem 1. April 2020 für acht volle Monate - unstreitig zutreffend und bestandskräftig - fest. Die Festsetzung erfolgte gemäß § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 der Abgabenordnung (AO) vorläufig hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit der Höhe des Zinssatzes (...).

Vor dem Hintergrund, dass die Kläger bereits am 23. April 2020 eine freiwillige Zahlung in (fast genau) der Höhe der festgesetzten Einkommensteuer geleistet hatten, erließ der Beklagte mit Bescheid vom 14. Dezember 2020 Zinsen für sieben volle Monate (...).

Die Kläger stellten unter dem 5. Januar 2021 einen Antrag auf Erlass des vollen Zinsbetrags (...).

Der Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 19. Januar 2021 ab (...). Den Einspruch der Kläger vom 29. Januar 2021 (...) wies der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 9. März 2021 zurück (...). In seiner Einspruchsentscheidung nimmt der Beklagte Bezug auf die Regelung in dem Anwendungserlass zur Abgabenordnung (AEAO) unter Tz. 70.1.2. Festgesetzte Nachzahlungszinsen seien in Höhe fiktiver Erstattungszinsen für die Zeit zwischen Zahlung und Festsetzung zu erlassen. Die Berechnung der fiktiven Erstattungszinsen orientiere sich an § 238 AO und erfolge jeweils nur für volle Monate. Gegenstand des Erlasses sei nicht die zu erhebenden Nachzahlungszinsen zu reduzieren auf einen Betrag für volle Monate zwischen Zinsbeginn und Zahlung. Wegen des Inhalts im Einzelnen wird auf die Einspruchsentscheidung Bezug genommen.

Die Kläger haben am 9. April 2021 Klage erhoben.

Die Kläger machen geltend, einen Anspruch auf Erlass der gesamten Nachzahlungszinsen zu haben. Die Kläger meinen, eine entsprechende Ermessensreduzierung auf Null ergebe sich aus AEAO zu § 223 Tz. 70.1.2 und der dort in Satz 2 zitierten Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH, Urteil vom 31. Mai 2017, I R 92/15, BStBl II 2019, 14). In der AEAO sei bestimmt - wenn auch umständlich ausgedrückt -, dass ein Erlass in Höhe der ab dem Zeitpunkt der Zahlung anfallenden Nachzahlungszinsen zu erfolgen habe. Ein ungerechtfertigter Zinsvorteil des Fiskus solle vermieden werden. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs habe die Ermittlung der zu erlassenden fiktiven Zinsen nach denselben Grundsätzen zu erfolgen, wie die Ermittlung der Nachzahlungszinsen.

Die Kläger beziehen sich weiterhin auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 8. Juli 2021 (1 BvR 2237/14, BStBl I 2021, 4303, HFR 2021, 922) zur Unvereinbarkeit der Zinsregel in § 223a AO mit dem Grundgesetz ab dem 1. Januar 2014. Sie meinen, der Zinsbescheid vom 11. Dezember 2020 sei insgesamt aufzuheben, jedenfalls aber zu ändern.

Die Kläger beantragen sinngemäß,

den Beklagten zu verpflichten, den Ablehnungsbescheid vom 19. Januar 2021 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 9. März 2021 aufzuheben und ihn zu verpflichten, weitere Zinsen zur Einkommensteuer 2018 in Höhe von ... € zu erlassen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte weist darauf hin, dass der Zinsbescheid bestandskräftig sei und solange der Gesetzgeber keine Neuregelung für die Zinsvorschrift getroffen habe, nicht aufzuheben oder zu ändern sei.

Hinsichtlich der Entscheidung über den Erlassantrag nimmt der Beklagte nimmt Bezug auf seine Einspruchsentscheidung. Die von den Klägern geltend gemachte Ermessensreduzierung ergebe sich nicht aus der AEAO. Die Beschränkung des Erlasses auf sieben Monate entspreche der Regelung in Nr. 70.1.2 AEAO. Maßgeblich für die nach ihr zu bestimmenden Erstattungszinsen seien volle Monate zwischen der Zahlung und dem Tag, bis zu dem Nachzahlungszinsen geschuldet würden, hier also der Zeitraum vom 23. April 2020 bis zum 11. Dezember 2020, der keine vollen acht Monate umfasse.

Der Senat hat den Rechtsstreit mit Beschluss vom 27. August 2021 gemäß § 6 der Finanzgerichtsordnung (FGO) dem Einzelrichter übertragen.

...

 

Entscheidungsgründe

Die Entscheidung ergeht gemäß § 6 FGO durch den Einzelrichter.

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Die Ablehnung des weitergehenden Erlassantrags ist rechtmäßig und verletzt die Kläger daher nicht in ihren Rechten.

I.

Die Klage ist als Verpflichtungsklage zuläss...

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