Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Anwendung des § 27 Abs. 19 UStG bei Insolvenz des leistenden Unternehmers
Leitsatz (amtlich)
1. Die Befugnis des Finanzamts zur Änderung der Umsatzsteuerfestsetzung gegenüber dem leistenden Unternehmer gemäß § 27 Abs. 19 Satz 1 UStG setzt voraus, dass dem leistenden Unternehmer gegen den Leistungsempfänger ein abtretbarer Anspruch auf Zahlung des Umsatzsteuerbetrages zusteht.
2. Ein derartiger Anspruch steht dem Leistenden aus einer ergänzenden Auslegung des mit dem Leistungsempfänger geschlossenen Bauwerkvertrages zu.
3. Dieser Anspruch ist auch dann abtretbar, wenn über das Vermögen des leistenden Unternehmers das Insolvenzverfahren eröffnet wurde. Dem steht nicht entgegen, dass die Abtretung regelmäßig zu einer Gläubigerbenachteiligung führen würde. Zum einen begründet eine Gläubigerbenachteiligung rechtlich kein Veräußerungsverbot und zum anderen besteht kein Schutzbedürfnis des Insolvenzschuldners und der Gläubiger, wenn der Insolvenzverwalter sich gegen die rechtlich mögliche Abtretung entscheidet, um einerseits die Zahlung des Leistungsempfängers in voller Höhe zur Masse zu ziehen und andererseits die Umsatzsteuerforderung des Finanzamtes nur in Höhe der Insolvenzquote befriedigen zu müssen.
Normenkette
UStG § 13b Abs. 1 S. 1 Nr. 4 S. 1, Abs. 2 S. 2, § 3 Abs. 4 S. 1, § 13b Abs. 2 Nr. 4 S. 1, Abs. 5 S. 2, § 27 Abs. 19; AO § 176 S. 2, § 251 Abs. 3; InsO §§ 38, 55 Abs. 1, § 60 Abs. 1, § 80 Abs. 1, § 179 Abs. 1, § 174; BGB §§ 157, 135, 199 Abs. 1, § 313
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten sind die Voraussetzungen für die Anwendung des § 27 Abs. 19 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) bei Insolvenz des leistenden Unternehmens streitig.
I.
1. Die am ... 2010 zunächst in der Rechtsform einer Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt) gegründete A GmbH (im Folgenden: A-GmbH) schloss im Jahr 2010 Bauwerkverträge über die Durchführung bzw. Fertigstellung von Bauvorhaben mit vier Bauträgergesellschaften, der B GmbH & Co. KG (inzwischen firmierend unter C GmbH & Co. KG; Grundstück X-Weg), der D GmbH & Co. KG (inzwischen firmierend unter E GmbH & Co. KG; Grundstück Y-Straße), der GbR "F", bestehend aus der G GmbH und der H-GmbH, (Grundstück Z-Straße) und der J GmbH (Grundstücke K-Allee, L-Weg, M-Allee und N-Straße; alle vier Gesellschaften im Folgenden als Bauträger bezeichnet). In den Bauwerkverträgen wurden jeweils Netto-Pauschalfestpreise vereinbart (...). Nachdem die A-GmbH die vereinbarten Bauleistungen in den Streitjahren 2010 bis 2012 erbracht hatte, veräußerten die Bauträger die in ihrem Eigentum stehenden und von der A-GmbH bebauten Grundstücke.
2. Die A-GmbH und die Bauträger gingen zunächst davon aus, dass die Bauträger nach § 13b UStG a. F. Schuldner der auf die Bauleistungen anfallenden Umsatzsteuer seien. Dementsprechend rechnete die A-GmbH gegenüber den Bauträgern über die jeweils vereinbarten Pauschalpreise ohne Umsatzsteuer ab und bezeichnete die Leistungsempfänger in den Rechnungen als Steuerschuldner gemäß § 13b UStG (...). Das Finanzamt O setzte die Umsatzsteuer jeweils gegenüber den Bauträgern fest.
3. Durch Beschluss des Amtsgerichts Hamburg vom ... 2012 (...) wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der A-GmbH eröffnet und der Kläger zum Insolvenzverwalter bestellt.
II.
1. Im Anschluss an das BFH-Urteil vom 22.08.2013 (V R 37/10), in dem der BFH entschied, dass § 13b UStG auf Bauträger, die selbst keine Bauleistungen erbringen, nicht anwendbar sei, beantragten die Bauträger mit Schreiben vom 07.04.2015, 28.04.2015, 06.08.2015 und 29.09.2015 beim Finanzamt O die Änderung der Umsatzsteuerfestsetzungen für die Streitjahre und die Erstattung der bisher festgesetzten und bezahlten Umsatzsteuer auf die von der A-GmbH erbrachten Bauleistungen. Die Umsatzsteuer wurde jeweils antragsgemäß erstattet.
2. Das Finanzamt O setzte den für die Veranlagung der A-GmbH zuständigen Beklagten über die Anträge der Bauträger jeweils in Kenntnis. Der Beklagte teilte dem Kläger daraufhin mit Schreiben vom 08.05.2015, 13.05.2015, 17.09.2015 und 08.10.2015 mit, dass die Bauträger die Erstattung der Umsatzsteuer beantragt hätten, dass das BFH-Urteil vom 22.08.2013 in allen noch offenen Fällen anwendbar sei und dass daher nunmehr sie, die A-GmbH, die Umsatzsteuer auf der erbrachten Bauleistungen schulde, und regte die Erstellung korrigierter Rechnungen und die Anmeldung der Umsatzsteuer an.
3. Am 06.10.2015 übersandte der Beklagte dem Kläger Steuerberechnungen über Umsatzsteuer für die Streitjahre in Höhe von insgesamt ... Euro, die er am 20.10.2015 und am 03.03.2016 (...) jeweils änderte.
4. Der Beklagte meldete mit Schreiben vom 16.11.2015 Umsatzsteuerforderungen für 2010 bis 2012 in Höhe von insgesamt ... Euro zur Insolvenztabelle nach und minderte diesen Betrag mit Schreiben vom 29.02.2016 auf ... Euro. Wegen der Zusammensetzung dieses Betrages wird auf die Aufstellung des Beklagten Bezug genommen (...). Die Minderung erläuterte der Beklagte mit Schreiben vom 23.02.2016 gegenüber dem Kläger ...