Entscheidungsstichwort (Thema)
Tätigwerden der Steuerfahndung „zur Aufdeckung und Ermittlung unbekannter Steuerfälle” bezüglich schon von der Betriebsprüfung Goldgeschäfte eines Zahnarztes. Rechtmäßigkeit einer Fahndungsmaßnahme
Leitsatz (amtlich)
1. Hat die Steuerfahndung (Steufa) noch kein Strafverfahren eingeleitet und wird ohne einen steuerstrafrechtlichen Anfangsverdacht im Rahmen der „Aufdeckung und Ermittlung unbekannter Steuerfälle” (§ 208 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO 1977) tätig, ist für Rechtsstreitigkeiten der Finanzrechtsweg gegeben. Dass die Ermittlungen der Steufa möglicherweise zur Aufdeckung einer Steuerstraftat führen, ändert daran nichts.
2. Liegt der Steufa Kontrollmaterial zu Goldgeschäften eines Zahnarztes mit Scheideanstalten vor, ist es nicht ermessensfehlerhaft, wenn sie unter Hinweis auf § 208 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO 1977 nochmals die Vorlage der Buchführungsunterlagen des Arztes zur Kontrolle fordert, obwohl für die betreffenden Jahre schon eine Betriebsprüfung stattgefunden hat und die daraufhin ergangenen Steuerbescheide schon bestandskräftig sind (Ausführungen zum Wesen und zu den Anforderungen an die Zulässigkeit von Ermittlungen der Steufa nach § 208 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO, zum Begriff des „unbekannten Steuerfalles” sowie zur Abgrenzung von den steuerstrafrechtlichen Ermittlungen nach § 208 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 AO 1977).
Normenkette
AO 1977 § 208 Abs. 1 S. 1 Nr. 3; FGO § 33 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 S. 2; AO 1977 § 85 S. 2, § 173 Abs. 2 S. 1, § 208 Abs. 1 S. 1 Nrn. 1-2
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Verfahrens fallen dem Kläger zur Last.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger ist in Hamburg als freiberuflicher Zahnarzt tätig. Nach seiner Darstellung im Klageverfahren führt er zahntechnische Arbeiten, bei denen der Einsatz von Zahngold erforderlich ist, überwiegend selbst durch und steht diesem Zweck mit den Scheideanstalten F., H. und D. in laufender Geschäftsbeziehung um sich – durch Ankauf oder Umtausch – das notwendige Zahngold zu beschaffen. Die letzte steuerliche Betriebsprüfung (Bp. umfaßte die Veranlagungszeiträume 1977 bis 1978, für die aufgrund der Ergebnisse der Bp rechtskräftige Einkommensteuer-Veranlagungen durchgeführt wurden.
Mit Verfügung vom 6.4.1984 teilte der Beklagte dem Kläger mit, er habe von auswärtigen Steuerfahndungsstellen Unterlagen erhalten, die Geschäfte des Klägers mit verschiedenen Scheideanstalten in den Jahren 1976 bis 1982 zum Gegenstand hätten. Er forderte den Kläger unter Hinweis auf § 208 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 i.V.m. § 200 Abs. 1 bis 3 Abgabenordnung (AO) zur Vorlage der Buchführung und der dazu gehörigen Belege für die Jahre 1976 bis 1982 auf, um das Kontrollmaterial verproben zu können. Bei dem Kontrollmaterial handelte es sich um Fotokopien von Rechnungen und Belegen der Firma H. für die Jahre 1976 bis 1978 und um Fotokopien von Gutschriften und Belegen der Firma … F. für die Jahre 1979 bis 1982.
Die vom Kläger am 16.4.1984 dagegen eingelegte Beschwerde wies die Oberfinanzdirektion Hamburg durch Beschwerdeentscheidung vom 4.2.1985, zugestellt am 12.2.1985, als unbegründet zurück. In der Begründung führt sie aus, obwohl die Person des Klägers bekannt sei, liege ein „unbekannter Steuerfall” im Sinne von § 208 Abs. 1 Satz 1 Nr. AO vor. Auch müsse aufgrund des vorliegenden Kontrollmaterials die Möglichkeit einer Steuerverkürzung bejaht werden. Hiervon habe der Beklagte nach den Erfahrungen, die bei der bundesweiten Überprüfung von Zahnärzten, Dentallabors und Scheideanstalten gemacht worden seien, ausgehen dürfen. Die vom Beklagten beabsichtigten Vorfeldermittlungen nach § 208 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO hätten keinen strafrechtlichen Charakter; es handele sich um steuerliche Ermittlungen mit dem Ziel, Steuerverkürzungen zu verhindern, § 85 Satz 2 AO. Ein steuerstrafrechtlicher Tatverdacht bestehe gegenwärtig nicht. Gemäß § 208 Abs. 1 Satz 3 AO trafen den Kläger bei Vorfeldermittlungen die gleichen Mitwirkungspflichten wie bei steuerlichen Außenprüfungen. Die Mitwirkung des Klägers könne gemäß § 383 Abs. 1 AO allerdings nicht erzwungen werden, wenn dieser sich der Gefahr aussetzen würde, sich wegen einer von ihm begangenen Steuerstraftat oder Steuerordnungswidrigkeit selbst zu belasten. Der Grundsatz werde durch die angefochtene Anordnung schon wegen der Höhe der zu überprüfenden Beträge (ca. 68.00 DM) nicht verletzt. Den Vorfeldermittlungen stehe ferner nicht die Bp für die Voranlagungszeiträume 1977 bis 1978 entgegen. Die Änderungssperre des § 173 Abs. 2 AO würde dann nicht eingreifen, wenn sich herausstellen wollte, daß eine Steuerhinterziehung vorliege; dann würde auch die verlängerte Festsetzungsfrist gelten. Ob dies der Fall sei, werde sich durch die beabsichtigten Steuerfahndungsmaßnahmen gerade erst ergeben und dürfe nicht zur Voraussetzung für deren Zulässigkeit gemacht werden.
Der Kläger hat am 11.3.1985 Klage erhoben, die er im wesentlichen wie folgt begründet: Er meint, es sei nicht zulässig, ihn allein aufgrund sei...