Entscheidungsstichwort (Thema)
Umsatzsteuer: Verzicht auf Steuerbefreiung bzgl. im übrigen Gemeinschaftsgebiet erbrachter sonstiger Leistungen, für die das Reverse-Charge-Verfahren gilt
Leitsatz (amtlich)
1. Der (fiktive) Verzicht auf die Steuerbefreiung für die Vermittlung von Umsätzen im Einlagengeschäft (§ 4 Nr. 8 Buchst. d i.V.m. § 9 Abs. 1 UStG) im übrigen Gemeinschaftsgebiet führt zur Nichtanwendung des Vorsteuerausschlusses nach § 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 UStG. Dabei ist zu prüfen, ob der Unternehmer die fraglichen Umsätze im Ausland tatsächlich als steuerpflichtig behandelt hat und die Voraussetzungen des § 9 UStG für den Verzicht auf die Steuerbefreiung vorlagen (BFH, Urteil vom 6. Mai 2004, V R 73/03, BStBl II 2004, 856; sog. "fiktive doppelte Steuerpflicht"). Dies entspricht der Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom 24. Januar 2019, C-165/17, Morgan Stanley & Co International, BB 2019, 277).
2. Für die erste Voraussetzung genügt es auch bei Anwendung des Reverse-Charge-Verfahrens, dass der Steuerpflichtige eine nach dem ausländischen Recht mögliche Option zur Steuerpflicht ausübt.
3. Die Option ist jedenfalls dann wirksam ausgeübt, wenn der inländische Leistende in den Ausgangsrechnungen gegenüber dem im übrigen Gemeinschaftsgebiet ansässigen Leistungsempfänger auf die Anwendung des Reverse-Charge-Verfahrens hinweist, die fraglichen Umsätze in die Zusammenfassende Meldung nach § 18a Abs. 2 UStG aufnimmt und sie in der Umsatzsteuererklärung gemäß § 18b Satz 1 Nr. 2 UStG angibt. Ob Voraussetzung für einen wirksamen Verzicht außerdem die - formlose - Zustimmung des Leistungsempfängers ist, konnte im Streitfall offenbleiben.
4. Eines darüberhinausgehenden Nachweises dafür, dass der im übrigen Gemeinschaftsgebiet ansässige Leistungsempfänger die ihm gegenüber erbrachten Umsätze tatsächlich versteuert hat, bedarf es nicht. Jedenfalls besteht keine Verpflichtung, die Versteuerung der Umsätze im Ausland durch eine Bestätigung der dort zuständigen Finanzbehörde nachzuweisen.
Normenkette
UStG § 3a Abs. 2 S. 1, § 4 Nr. 8 Buchst. d, §§ 9, 13b Abs. 1, 2 Nr. 1, Abs. 5 S. 1, § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, Abs. 2 S. 1 Nrn. 1-2, Abs. 4; MwStSystRL Art. 135 Abs. 1 Buchst. d, Art. 137, 168, 169 Buchst. a, Art. 173 Abs. 1, Art. 174-175
Tatbestand
Streitig ist, inwieweit der Vorsteuerabzug für Eingangsleistungen, die auch zur Ausführung von Umsätzen im übrigen Gemeinschaftsgebiet verwendet wurden, gemäß § 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) ausgeschlossen ist.
Die am ... 2011 mit Sitz in Hamburg gegründete A GmbH (HRB xxx, im Folgenden: A-GmbH) betrieb im Streitjahr 2017 die Website "XX" - eine Open Banking Plattform -, auf der Einlagenprodukte (u.A. Tages- und Festgeldanlagen) verschiedener Banken mit Sitz im Inland und in anderen EU-Mitgliedstaaten (sog. Produktbanken) den Endkunden unmittelbar angeboten wurden. Daneben vermittelte die Klägerin die Einlagen über sog. Point-of-Sale (PoS)-Partner wie z.B. YY oder Kundenbanken wie die ZZ. Für die erfolgreiche Vermittlung der Einlagengeschäfte erhielt die Klägerin Provisionen von den Produktbanken, deren Höhe sich nach dem jeweiligen Anlagebetrag richtete.
Die Ausgangsrechnungen der A-GmbH gegenüber den Leistungsempfängern im übrigen Gemeinschaftsgebiet enthielten folgenden Hinweis:
"Der Rechnungsausweis erfolgt ohne Umsatzsteuer, da vorliegend der Wechsel der Steuerschuldnerschaft (Reverse-Charge-Verfahren) greift. Die Umsatzsteuer ist gegebenenfalls vom Leistungsempfänger anzumelden und abzuführen."
bzw.
"Reverse Charge is applied, tax liability is incumbent on the recipient."
In dem zwischen der A-GmbH und der B Bank S.A. (einer EU-Produktbank) geschlossenen Vertrag vom ... Februar/... März 2017 war die Anwendung des Reverse-Charge-Verfahrens bzgl. der von der A-GmbH erbrachten Leistungen vereinbart (...). Auf den weiteren Vertragsinhalt wird Bezug genommen.
In den Umsatzsteuer-Voranmeldungen für 2017 behandelte die A-GmbH ihre im Inland erbrachten Leistungen teilweise als nach § 4 Nr. 8 Buchst. d UStG steuerfrei und im Übrigen aufgrund eines Verzichts auf die Steuerfreiheit als steuerpflichtig und die im übrigen Gemeinschaftsgebiet ausgeführten Leistungen als nicht steuerbar. Die Vorsteuerbeträge - im Wesentlichen aus Aufwendungen im Zusammenhang mit dem Betrieb der Online-Plattform und aus Online-Marketingmaßnahmen - machte die A-GmbH in voller Höhe geltend.
Aufgrund der Prüfungsanordnung vom 3. August 2017 führte das seinerzeit zuständige Finanzamt Hamburg-... ab dem 14. Dezember 2017 bei der A-GmbH eine Umsatzsteuer-Sonderprüfung für die Voranmeldungszeiträume Januar bis Mai 2017 durch. Nach Auffassung der Prüferin war der Vorsteuerabzug bzgl. der Ausgangsleistungen gegenüber den im übrigen Gemeinschaftsgebiet ansässigen Produktbanken nach § 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 UStG zu versagen. Die Klägerin habe weder nachgewiesen, hinsichtlich dieser nach § 4 Nr. 8 Buchst. d UStG steuerfreien Leistungen zur Umsatzsteuerpflicht optiert zu haben, noch dass die Umsätze im jeweiligen ...