Entscheidungsstichwort (Thema)
Bewertungsgesetz: Einheitsbewertung eines gemischt genutzten Grundstücks
Leitsatz (amtlich)
1. Der Entscheidung über den Einheitswert 2006 steht die zur Frage der Verfassungsmäßigkeit der Einheitsbewertung für 2007 anhängige Verfassungsbeschwerde nicht entgegen, zumal nach Vorläufigkeitserklärung gemäß § 165 AO.
2. Im Ertragswertverfahren sind nach zwischenzeitlichen Ein- und Umbauten die für den aktuellen Zustand in 1964 üblich gewesenen Mieten grundsätzlich anhand der örtlichen Mietespiegel zu bestimmen; deren Heranziehung wird der Höhe nach nicht durch die Tabellenmieten des Zweiten Bundesmietengesetzes (2. BMietG) begrenzt.
3. Dass ein Steuerpflichtiger im Massenverfahren der Einheitsbewertung für die Zwecke der Grundsteuer keinen Anspruch auf ein Einzelgutachten hat, schließt die Einholung eines (ggf. mdl.) Sachverständigengutachtens i. V. m. richterlicher Augenscheinseinnahme nicht aus.
4. Soweit der Stpfl. zur Ermöglichung der Besichtigung der Räumlichkeiten nicht mitwirkt und es etwa dem Gericht überlässt, bei unvorbereitet tagsüber anwesenden Mietern um freiwilligen Einlass zu bitten, kann dieses Verhalten bei der Beweiswürdigung berücksichtigt werden.
Normenkette
AO §§ 99, 165; BewG §§ 19, 21, 27, 68, 76, 79, 82; GG Art. 3; FGO §§ 76, 81-82; ZPO § 402; 2. BMietG § 4
Tatbestand
A.
Streitig ist die Höhe des Einheitswerts auf den 1. Januar 2006 für ein 1892 bebautes, gemischt genutztes Eck-Grundstück.
I.
1. Das Gebäude in beiderseits geschlossener Bauweise in Hamburg-R. verfügt über Erdgeschoss (bzw. Hochparterre), drei Obergeschosse, Untergeschoss (bzw. Souterrain) und Dachböden (Bau-A; Foto, EW-A vor Bl. 2; Beweisaufnahme-Protokoll, FG-A Bl. 167 ff.).
2. Auf den 1. Januar 1964 wurden die Mieten für den Einheitswert mangels betragsmäßiger Erklärung in 1971 komplett pauschal auf 1,80 DM/qm geschätzt (vgl. Wohnungs-Mietespiegel 1964, Rubrik Altbauten Ausstattungsstufe 2; EW-A Bl. 4, 11).
3. Nach diversen Mietereinbauten, Umbauten (Bau-A Bd. I-II) und nach Zwangsversteigerungs-Anordnung 2004-2005 veräußerten die letzten Voreigentümer das Grundstück für 2,55 Mio. Euro mit notariellem Kaufvertrag und Auflassung vom ... 2005 per 1. Januar 2006 an den Kläger, eingetragen am ... 2006 (Gr-A Bl. ... ff.; EW-A Bl. ... ff.; GB-Auszug, FG-Anlbd.).
II.
1. Der Beklagte (das Finanzamt --FA--) war nach Grundstückserwerb des Klägers und Einheitswert-Zurechnungsfortschreibung (vgl. Eingabe vom 9. Januar 2006, EW-A Bl. 39) zunächst bis Februar 2010 mit der Kaufpreisaufteilung für das Wohnsitz-FA befasst (EW-A Bl. 42 ff., 66 f.) und erhielt dazu vom Kläger die durch die Verkäufer bei Vertragsschluss übergebene Mietenliste (EW-A Bl. 53, 61R).
2. Der Kläger stellte am 15. März 2007 einen Antrag auf Teilerlass der Grundsteuer 2006 wegen Ertragsminderung gemäß § 33 GrStG und reichte dazu Unterlagen betreffend die geforderten und tatsächlichen Mieten 2006 ein. Außerdem übersandte der Kläger die fristlose Kündigung des Gaststättenmieters vom ... 2006 wegen Bauschäden nebst Kopie der Schlüsselübergabe-Quittung vom ... 2006 (EW-A Bl. 68 ff., 98 f.).
Das Erlassverfahren wurde nach Bescheid vom 18. November 2008 durch Einspruchsentscheidung des FA vom 23. Februar 2010 abgeschlossen (EW-A Bl. 100 ff., 108 ff.).
3. Mit der hier interessierenden Wert- und Artfortschreibung auf den 1. Januar 2006 befasste sich das FA spätestens seit Juni 2010, und zwar aufgrund (aus den vorgenannten Verfahren) bekannt gewordener Nutzungsänderungen (EW-A Bl. 119 ff.).
4. Unter dem 16. Juni 2010 erließ das FA den hier hinsichtlich der Höhe des Einheitswerts angefochtenen Bescheid über die Wert- und Artfortschreibung des Einheitswerts auf den 1. Januar 2006. Dabei setzte das FA wie folgt den Einheitswert von vorher 156.200 DM auf 585.500 DM bzw. 299.361 Euro herauf (EW-A Bl. 121, 124).
Beträge in DM |
Fläche qm |
Miete/qm |
Miete p.M. |
Miete p.a. |
Schönheitsrep. |
Jahresrohmiete |
Wohnzwecke |
1.118 |
2,10 |
2.347,80 |
28.173,60 |
105% |
29.581 |
Labor |
155 |
5,50 |
852,50 |
10.230,00 |
|
|
Büro-/Praxis |
371 |
7,50 |
2.782,50 |
33.390,00 |
|
|
Souterrain Gaststätte |
168 |
8,00 |
1.344,00 |
16.128,00 |
|
|
Lagerfläche |
30 |
1,00 |
30,00 |
360,00 |
|
|
fremdgew. u.a. Zwecke |
|
|
5.009,00 |
60.108,00 |
103% |
61.911 |
Jahresrohmiete § 79 BewG |
91.492 |
|
Vervielf. § 80 BewG Anl. 5 gew. ≫50%, Bauausf. A, Altbau vor 1895 |
6,4 |
Grundstückswert |
585.548 |
Einheitswert in DM (gerundet § 30 BewG) |
DM 585.500 |
Umrechnung in Euro (DM : 1,95583) Einheitwert in Euro |
Euro 299.361 |
III.
1. Der Kläger legte am 22. Juni 2010 Einspruch ein und wandte sich gegen die rückwirkende Erhöhung des Einheitswerts auf die mehrfache Höhe (EW-A Bl. 122 ff.). Ihm liege keine Genehmigung für die Büro- oder Praxisnutzung vor; für gewerblich genutzte Wohnungen sei nur die Miete nach dem Wohnungs-Mietespiegel um 40 % zu erhöhen. Die Gaststättenräume seien beschädigt (Durchfeuchtung, Schimmel, irreparable Heizung und Belüftung; EW-A Bl. 129 ff.), wie durch Gutachten eines Sachverständigen vom 20. Februar 2006 gemäß dessen Besichtigung vom 1. Februar 2006 belegt (EW-A Bl. 150 ff....